Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)
sich in unzähligen Spielarten je nach dem Alter, dem Bildungsgrad, der gesellschaftlichen Schicht, dem religiösen Bekenntnis, dem der Betroffene angehört.
Und damit ist heute eine Marktlücke aufgerissen worden, in der der Aberglaube kommerziell, ja mit kapitalistischen Methoden rücksichtslos ausgebeutet wird. Je ärmer, je mangelhafter ausgebildet, desto leichter fällt er dem zum Opfer.
Abschaffen können wir den Aberglauben nicht, aber wir sollten als Ärzte wenigstens diejenigen, die eines eigenen Urteils nicht fähig sind, vor dieser oft an Betrug grenzenden Täuschung und Selbsttäuschung zu schützen suchen.«
Die Nobelpreis-Urkunde von Werner Forßmann im Werner-Forßmann-Krankenhaus Barnim. Forßmann schrieb für Prokop ein aufschlussreiches Vorwort über den Einfluss seelischer Vorgänge in der Heilkunde. Trotz seiner Nazivergangenheit erhielt Forßmann an der Medizinischen Fakultät der Humboldt-Universität einen Ehrendoktor.
Forßmann war gewiss ein Forscher und Arzt nach Prokops Geschmack. 1929, im Alter von 25 Jahren, hatte sich Forßmann – da es ihm bei Patienten verboten worden war – eigenhändig einen Katheter von der Armvene her bis ins Herz geschoben. Obwohl er das Verfahren veröffentlichte und auf einem chirurgischen Kongress vortrug, interessierte es zunächst niemanden. Sein späterer Chef, der berühmte und für seine ruppige Art bekannte Chirurg Ferdinand Sauerbruch, schimpfte seinen Mitarbeiter Forßmann sogar mit den Worten aus, dass man »mit solchen Kunststücken in einem Zirkus und nicht an einer anständigen deutschen Klinik habilitiert«, und feuerte ihn.
Prokop mag darin insofern ein Vorbild gesehen haben, als Forßmann einerseits in der Praxis die Ärmel im wahrsten Sinne des Wortes hochkrempelte und andererseits auch in der Theorie seine Überzeugungen vertrat – auch wenn es zäh voranging und Ärger nach sich zog. Es ist sicher kein Zufall, dass Forßmann 1977 ausgerechnet an der Medizinischen Fakultät der Humboldt-Universität seine einzige Ehrendoktorwürde erhielt.
Der raue Wind der Wirklichkeit
Am Ende seines Lebens zitierte Prokop Arthur Schopenhauer (Philosoph, 1788–1860) mit dem Satz: »Es kann hiermit so weit kommen, dass vielleicht manchem, zumal in Augenblicken hypochondrischer Verstimmung, die Welt, von ästhetischer Seite betrachtet, als ein Karikaturenkabinett, von der intellektuellen als ein Narrenhaus, und von der moralischen als eine Gaunerherberge erscheint. Wird eine solche Verstimmung bleibend, so entsteht Misanthropie [Menschenüberdrüssigkeit].«
Ein Misanthrop wurde Prokop nicht. Er stand den Dingen und auch den Menschen zuerst neugierig, dann zunehmend skeptisch gegenüber, bis er die Welt überhaupt nicht mehr verstand. Fünf Jahre nach dem Fall der Mauer berichtete er auf die Frage, warum er in die DDR gegangen sei, dass »in der Charité 1957 erstklassige Lehrer waren, auch Österreicher. Mein Lehrer Professor Paul Martini, der Leibarzt von Adenauer, hat mir damals mit den Worten zugeraten: ›Auch dort sind deutsche Studenten .‹ So dumm wird hoffentlich niemand sein, dass er annimmt, dass an der Charité nur Kommunisten als Lehrer tätig waren.«
Umso mehr ärgerte sich Prokop darüber, dass die Charité nach der Wende Kollegen aus dem Dienst entließ, eben weil sie sich mit der herrschenden Einheitspartei und -meinung eingelassen hatten. Wie leicht man dabei auf Glatteis geriet, zeigt das Interview mit Professor Wegener [S. 242]: Hatte man sich gegenüber staatlichen Stellen beispielsweise freundlich über andere geäußert, wurde dies hinterher nicht negativ angerechnet. Hatte man aber umgekehrt in das Leben der anderen – und sei es auch nur durch Äußerungen – eingegriffen, so galt dies als Konspiration mit den Mächten.
»Das ist ganz traurig«, meinte Prokop dazu. »Um nicht in Verdacht zu kommen, rechtsradikal, linksradikal oder mittelradikal zu sein, kann man das nicht mit wenigen Sätzen beschreiben. Sicher haben aufgrund der Einschätzung der neuen Organisatoren [nach dem Mauerfall] dreimal so viele Wissenschaftler ihre Position verloren wie 1933, und das ohne › Arierparagraf ‹ . Aus der Freude der Wiedervereinigung wurde oft Bitternis.«
Die Folgen der Wiedervereinigung waren allerdings beruflich nicht immer so bitter, wie Prokop sie wahrnahm. Das wusste er auch selber. »Von meinen 25 habilitierten Schülern«, so Prokop nach der Wende, »hat nur ein einziger aufgegeben. Einige haben einen Lehrstuhl in
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