Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)
sich suizidiert hat? Einer aus dem Institut hat sich doch umgebracht?
Ja, das ist Doktor Stephan Schnitzler gewesen. Sein Selbstmord hat mich sehr irritiert. Ich denke, private Gründe wie Scheidung, aber auch das opportunistische Verhalten seines Vaters waren ausschlaggebend.
Auch Doktor Peter Luther gehörte mit zum wissenschaftlichen Team, das heißt, es waren Mitarbeiter, die nicht unmittelbar mit Themen der Gerichtsmedizin, sondern mit Grundlagenforschung beschäftigt waren, in diesen Fällen mit Lektinologie, der Lehre von den Kohlenhydrat-bindenden Molekülen, ein Fachgebiet, welches von mir und Professor Krüpe in Fulda in den 50er Jahren erschlossen wurde, und welches durch die Zusammenarbeit mit Prokop eine ungeahnte Renaissance erlebte. Das hört sich heute gut an, stieß aber damals auf extremen Widerstand, da man diese Lektin-Reaktionen als unspezifisch abtat. Prokop tat allerdings das Gegenteil und ordnete sie dem spezifischen Immunsystem zu. Auch das war falsch. Und so »stießen wir zusammen«.
Peter Luther arbeitete dagegen über pflanzliche Lektine bei der Mistel, deren Existenz meine Mitarbeiter und ich erstmals beschrieben haben.
Durfte er in den Westen kommen?
Na klar, denn die DDR hatte an therapeutischen Möglichkeiten eines Mistel-Lektins großes Interesse, allein schon wegen der Devisen und Patente. Peter Luther habe ich dann den Studenten als Vorsitzenden der CDU angekündigt.
Und was haben die Studenten gesagt?
Die dachten, da kommt doch nicht etwa Helmut Kohl? Keiner wusste, dass es auch eine winzig kleine Ost-CDU gab, um den demokratischen Schein zu wahren.
In welcher Vorlesung war das?
In einer, die dann ausnahmsweise etwas voller war als sonst.
In welchem Jahr war das ungefähr?
In den 70er Jahren, genau weiß ich das nicht, obwohl ich ein fast pedantischer Tagebuchschreiber bin, was allerdings den Nachteil hat, dass man ohne längeres Suchen so schnell nichts findet.
Prokop hat ja Angst gehabt, dass man behauptet, es seien Menschen, also Patienten oder deren Organe, verkauft worden.
Er hat immer Angst gehabt, dass man ihm, dem Gerichtsmediziner, bei dem die Mauertoten angeliefert und obduziert wurden, so manches anlasten würde. Aber es klingt makaber: Jeder Mord wurde bei ihm seziert, auch der Mord, den die Staatsorgane begingen. Prokop war kein Richter, aber vor Gericht ein unbestechlicher, objektiver Gutachter, was mir oft bestätigt wurde.
Was meint Prokop denn in diesem Brief, der hier vor uns liegt, mit »Beten hilft nicht, sondern besonnener Kampf«?
Er hat mehr als einmal durchblicken lassen, dass gegen Dummheit selbst Götter vergebens kämpfen. Und er meinte damit natürlich die politische Verbohrtheit eines inhumanen Regimes. Ich habe immer gesagt, dass es dann doch vielleicht besser wäre, mit List und Tücke zu kämpfen. An eine Wiedervereinigung hat er nicht geglaubt, für ihn schien der Westen kein Interesse daran zu zeigen.
Hat er sich mal überlegt, ob er dann den Rest seiner Zeit hier im Westen verbringt?
Nein, das kam für ihn nicht infrage, eher für seine liebenswerte und von mir hochgeschätzte Frau Helmi, eine humorvolle Rheinländerin, die gelegentlich nicht nur den Karneval vermisste. Aber seine Kinder hatten sich schon in Berlin heimisch gefühlt. Prokop wollte eigentlich noch als Emeritus weiterhin wirken über eine Spezial-Vorlesung oder auch über Doktoranden und Bücherschreiben. Bonn wäre für ihn vergleichsweise Provinz gewesen.
Klar, er hat ja mitten in Berlin gewohnt.
Berlin war für ihn wie eine zweite Heimat, vielleicht erinnerte ihn einiges an die Großstadt Wien. Im hohen Alter hätte ich ihn allerdings in St. Pölten in Österreich verortet, vielleicht mit einem seiner beiden professoralen Brüder.
Sind Prokops Briefe verzögert hier bei Ihnen angekommen?
Nein, sie kamen immer gut an, per Eilbote. Als Frühaufsteher hat mich das aber nicht gestört. Allerdings wurde unser Telefon mit Sicherheit angezapft, was man an einem typischen Klicken hören konnte. Das war aber nur der Fall, wenn er mich hier in Köln mit Chauffeur und altem Mercedes (noch aus Bonner Zeiten) besuchte. Durch Zufall erfuhr ich erst vor kurzem, dass der Vater einer DDR- Sportlerin hier in Köln unter anderem auch mich observiert hat. Dass die Stasi sogar hier ihre Leute hatte, haben wir vermutet.
Meinen Sie denn, dass Ihre ganze Bude verwanzt war oder nur das Telefon?
Nein. Nur das Telefon bei Besuchen hier. Wir haben oft auch über die Unis miteinander
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