Shadow Falls Camp - Erwacht im Morgengrauen: Band 2 (German Edition)
sich heute Abend rauszuschleichen und jemandem einen zu blasen.
Ihre Mutter hatte das gesamte Wochenende durchgeplant, mit ihrer »Wir-müssen-Liste«: Wir müssen deine Lieblingskekse backen. Wir müssen bei der neuen Pizzeria essen. Wir müssen um sechs Uhr abends beim Geisterhaus sein.
Kylie fragte sich, wann sie überhaupt Zeit haben sollte, sich davonzuschleichen, um »sicheren« Oralsex zu haben.
In Gedanken fügte Kylie einen wichtigen Punkt zur Liste hinzu. Muss Mom überzeugen, mich fürs Internat anzumelden. Trotz ihrer Bedenken, ihre Mutter allein zu lassen, fühlte sich Kylie als Übernatürliche außerhalb des Camps ein bisschen so wie ein Fisch auf dem Trockenen.
Um sechs Uhr abends, nachdem sie Kekse gebacken und ein paar schöne Stunden miteinander verbracht hatten, zwang Kylie sich ins Auto, um zur Geisterjagd zu fahren. Und sie hoffte, dass der Pensionsbesitzer nichts dagegen hatte, wenn sie einen zusätzlichen Gast mitbrachte, denn auf dem Rücksitz saß – immer noch voller Blut und immer noch am Kotzen – Kylies Geist, der kein Stück kommunikativer war als im Camp.
Und als wollte er das unterstreichen, verschwand der Geist auch kurz bevor sie bei der alten Pension ankamen.
Als sich Kylie und ihre Mutter mit den anderen Gästen in der Eingangshalle versammelt hatten, trat die Besitzerin, eine große, breitgebaute Frau Ende fünfzig, mit rotgefärbten Haaren zu ihnen. »Willkommen. Willkommen in Andersons Pension. Mein Name ist Celeste Bell. Einige von ihnen kennen mich sicherlich schon aus dem Fernsehen.«
Kylie hatte keinen blassen Schimmer, aber einige der anderen Gäste nickten. Celeste war eine professionelle Geisterseherin, die in entsprechenden Sendungen im Privatfernsehen auftrat. Sie trug ein langes weißes Gewand, als wollte sie mit gruseliger Kleidung das Erlebnis noch verstärken.
»Das Haus wurde im späten 18. Jahrhundert von Joshua Anderson erbaut. Aber das Schicksal meinte es nicht gut mit ihm. Er hatte das Haus noch nicht einmal bezogen, da starb seine junge Frau an ihrem Hochzeitstag bei einem Unfall mit dem Pferdewagen. Joshua nahm sich daraufhin im Schlafzimmer das Leben. Das Haus wurde dann verkauft und ein Saloon darin eingerichtet. Doch weitere Tragödien sollten folgen. Aber bevor wir gleich richtig loslegen, erkläre ich Ihnen noch schnell die Regeln.«
Die Regeln waren einfach. Zusammenbleiben. Kein unnötiges Reden. Celeste bestand auch darauf, dass sie ihre Handys ausschalteten, weil diese Art Energie die Geister angeblich verjagen konnte.
Lustig, dachte Kylie, ihre Erfahrung war eher, dass Geister gern mit Handys herumspielten.
Kylie checkte sogar Celestes Gehirnmuster, um zu sehen, ob sie vielleicht übernatürlich war. Fehlanzeige. Die zehn anderen Teilnehmer waren allesamt Rentner, die ihren Ausweis schon länger nicht mehr zeigen mussten, um den Seniorenrabatt an der Theaterkasse zu bekommen. Die Gruppe bewegte sich nur langsam vorwärts, was damit zusammenhängen konnte, dass jeder Zweite eine Gehhilfe benutzte. Sie folgten der Frau durch das erste Stockwerk des Hauses. Celeste ging mit ihnen von Zimmer zu Zimmer und erzählte überall eine andere Geistergeschichte, meistens aus der Zeit, als das Haus ein Saloon war.
So weit schien das Haus frei von Geistern zu sein.
Obwohl Celeste wahrscheinlich ein lausiger Geisterseher war, war sie doch eine passable Geschichtenerzählerin und die ganze Gruppe lauschte gebannt ihren Gruselgeschichten.
»So, jetzt gibt es etwas zu essen, und ich werde Ihnen erzählen, was im frühen 19. Jahrhundert passiert ist. Gehen Sie nur weiter und setzen Sie sich.« Celeste machte eine Handbewegung zum großen Esstisch. Darauf waren Schüsseln mit Spaghetti verteilt. »Aus irgendeinem Grund«, flüsterte sie, »ist dieser Raum immer etwas kälter als der Rest des Hauses.«
Wie auf das Stichwort fiel die Temperatur in dem alten Saal um mindestens vier Grad. Kylies Geist erschien neben ihr. Die Gäste drängten sich zusammen und man sah weiße Atemwölkchen. Allein für Celestes Gesichtsausdruck hätte sich die Geisterjagd schon gelohnt, wäre da nicht der Ausdruck schierer Panik auf dem Gesicht ihrer Mutter gewesen.
»Ist schon okay, Mom«, flüsterte Kylie.
»Das ist so verdammt gruselig.« Ihre Mutter sagte nie verdammt .
»Das ist bestimmt nur ein Trick«, log Kylie.
»Es ist so weit. Du musst jetzt etwas unternehmen!« , schrie der Geist.
Zeig mir, was ich tun soll , dachte Kylie.
In dem Moment fingen alle
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