Shadow Touch
explodieren.
»Sie erinnern mich an jemanden«, erklärte der stille Mann.
»Und an wen?« Keine Panik. Schalt in den Kampfmodus. Kämpfe.
»An eine Frau, selbstverständlich.« Er war so ruhig, und gleichzeitig wirkte sein Blick so beunruhigend. »Bis ich Sie im Flur gesehen habe, hatte ich sehr lange nicht mehr an diese Frau gedacht. Ich brauchte diese Auffrischung meiner Erinnerung. Es waren bessere Zeiten, wissen Sie. Damals war ich frei.« Er legte den Kopf auf die Seite. »Ich wette, dass Sie jetzt ebenfalls nach Freiheit gieren. Auf Nachrichten von draußen. Ich könnte eine Weile bei Ihnen sitzen bleiben und Ihnen Gesellschaft leisten. Sie müssen sehr einsam sein.«
»Nein.« Schweißtropfen liefen ihr über die Brust. »Mir geht es ganz gut, danke.«
»Was für ausgezeichnete Manieren. Bemerkenswert. Mir ist zuerst Ihre Schönheit aufgefallen, diese einzigartige Ähnlichkeit, aber nun muss ich zugeben, dass mich am meisten ihre Haltung beeindruckt. Wirklich. Sie können nicht wissen, wie selten ich an diesem Ort jemandem begegne, der sich so gut benimmt.«
»Begegnen Sie denn vielen?«, fragte Elena. Sie zwang sich, ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Es war schwierig, logisch zu denken, wenn der stille Mann so dicht neben ihr stand, und das auch noch in einem so kleinen Raum. Ihr war nicht aufgefallen, wie sehr die Anwesenheit von Rictor und dem Russen ihre schreckliche Furcht vor ihm gemindert hatte. Was für ein unpassender Moment, um Schwäche zu entdecken.
»Niemandem wie Ihnen.« Der stille Mann bewegte sich nicht; seine Reglosigkeit war unheimlich, wirkte unnatürlich. Ebenso wie das Schweigen, das nun folgte. Elena erwartete, dass er redete, stattdessen jedoch starrte er sie nur an, mit derselben Intensität wie bei ihrer ersten, kurzen Begegnung. Elena weigerte sich, seinem Blick auszuweichen, sie unterdrückte ihr Unbehagen, das schreckliche Gefühl von Unterdrückung, das seine eisigen Augen ausstrahlten.
»Haben Sie genug gesehen?«, erkundigte sich Elena, als er weiter schwieg. Sie konnte seine Passivität, sein tödliches Schweigen nicht mehr ertragen.
Er lächelte. »Noch nicht, Elena. Es wird ein wenig dauern, bis ich Sie verstehe. Bis ich lerne, wie Sie ticken. Aber glücklicherweise ist Zeit etwas, das wir beide im Überfluss haben.«
»So kompliziert bin ich gar nicht.«
»Aber nein. Sie sind sehr stark, Elena. Und Sie wissen, was ich bin. Ich sehe es in Ihrem Gesicht. Sie wissen es — und wenden dennoch Ihren Blick nicht ab.«
Elena wusste nicht genau, was sie darauf antworten sollte. »Gut«, sagte er. »Das ist gut, Elena. Stärke ist an diesem Ort eine Währung. Zusammen mit Macht. Sie besitzen beides. Das Einzige, was es noch zu messen gilt, ist Ihre Entschlossenheit.«
»Damit bin ich ganz zufrieden«, erklärte sie.
»Das werden wir sehen«, erwiderte der stille Mann. Und bewegte sich.
Es war keine Überraschung, Elena hatte eine Vorwarnung bekommen, aber er war sehr schnell und stark und erwischte sie am Ohr. Er drehte es so fest um, dass sie ihr Gleichgewicht verlor. Noch während sie stürzte, schlug sie mit den Händen um sich. Es war ein willkürlicher Schlag, aber er traf. Sie erwischte sein Auge, seine Unterlippe, grub ihre schartigen Nägel in die weichen Schleimhäute und riss. Der stille Mann grunzte; er rammte ihr die Faust gegen die Schulter.
Elena ließ nicht los. Er legte ihr die Hände um den Hals. Sie sah ihr Spiegelbild in seinen Augen, erkannte aber ihre Augenfarbe nicht, und dann bekam sie keine Luft mehr, konnte nicht einatmen. Seine Miene wirkte ausdruckslos, kalkulierend, abschätzend, und ihr wurde klar, dass er sie so lange würgen konnte, bis sie fast starb, dass er sie dann wieder zurückholen und dasselbe wiederholen mochte, und zwar endlos. Dies war das Spiel des Lebens eines Necromancers. So sicher, so zuversichtlich, wie er sie ansah, als hätte er schon gewonnen, als wäre die Stärke, für die er ihr Komplimente gemacht hatte, gar nichts, nur ein Spiel mit Worten. Sie war lediglich eine weitere schwache Frau, fügsam in seinen Händen ... Sie weigerte sich jedoch, diese Frau zu sein, sie weigerte sich zu sterben.
Sie drang in seinen Körper ein. Es war nicht schwierig. Er hatte zwar Barrieren, aber sie war stark, wütend und verzweifelt. Sein Widerstand dauerte nur Sekunden. Sie drang in seinen Körper ein, und es war, als würde sie durchatmen, als bekäme sie hier die Luft, die er ihr verweigerte. Ich könnte dich heilen oder ich
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