Shadow Touch
Lippen zusammen. »Ich frage das um Ihretwillen, Elena. Es wird Ihnen helfen.«
»Was mir helfen würde, wäre einzig und allein, mich hier rauszuschaffen, Rictor. Glauben Sie, dass Sie diesbezüglich etwas unternehmen könnten?«
Darauf antwortete er nicht. Elena seufzte. »Ich habe ihn fast umgebracht. Ich hätte beinah einen Mord begangen. Ich habe noch nie daran gedacht, meine Gabe auf diese Weise zu benutzen, aber einen Moment ... einen einzigen Augenblick lang, es kam mir vollkommen natürlich vor.«
»Selbstverständlich.« Seine Stimme klang ruhig und gelassen. »Es gibt kaum etwas Natürlicheres als den Wunsch zu leben.«
»Es hätte nicht dazu kommen dürfen«, sagte Elena. »Was für einen Zoo leiten Sie hier eigentlich?«
»Einen, der Männer wie Charles Darling als Schoßtierchen hält.« Rictor stand auf und reichte Elena die Hand. Sie nahm sie jedoch nicht, sondern stand aus eigener Kraft auf. Es fiel ihr nicht gerade leicht. Behutsam berührte sie ihren Nacken.
»Wer ist er? Und wie kann jemand diesen Mann als Schoßtier halten?«
»Charles ist ein Serienmörder«, erwiderte Rictor so beiläufig, als sei es der Name eines Rezeptes für gesundes Vollkornbrot. Mordroggenschrot oder Psychowalnussdinkel. Lecker und noch warm. »Er bevorzugt Frauen, aber er hat keine
Vorurteile gegen das andere Geschlecht, sofern Umstände und Timing stimmen. Sie sehen genauso aus wie sein erstes Mordopfer.«
Elena starrte ihn an. »Und das sagen Sie mir jetzt erst?«
»Ich wollte Sie nicht beunruhigen. Ich wusste, dass sich Charles für Sie interessierte, aber ich dachte, er wäre klug genug, sich von Ihnen fernzuhalten.«
»Warum? Wegen dieser ... dieser L’Ara... wie heißt sie noch?«
»Ja.« Nur dieses eine Wort, angespannt. Elena wartete. Er sprach nicht weiter, sondern stand nur da, als wäre Schweigen sein einziger Freund.
Das war doch unerträglich. Elena hatte diese ewigen Fragmente satt, diese Rätsel. Sie wollte endlich Antworten. Nach dem, was sie gerade erlebt hatte, nachdem sie diese Grenze fast überschritten hätte, brauchte sie so dringend Antworten, dass sie bereit war, darum zu kämpfen.
Sie trat dicht an ihn heran. »Rictor - wer ist sie?«
Er wich ihr aus, Elena aber blieb dran, bedrängte ihn nur mit ihrem Blick. »O nein«, meinte sie. »Sie werden es mir sagen. Wer ist diese Frau, und wieso bin ich wichtiger für sie als dieser stille Mann?«
»Sie kommt heute her, um sich mit Ihnen zu treffen«, erwiderte er. »Und zwar schon sehr bald. Dann werden Sie selbst erfahren, warum sie wünscht, dass Sie hier sind.«
Aus seinem Mund klang es wie ein Todesurteil. Elena konnte seine Miene nicht entschlüsseln; er versuchte wohl, »gelangweilt« zu wirken, aber dafür war er einfach nicht unbeteiligt genug. Sie sah die Furcht in seinem Blick, den Funken von Wut ... ob auf sie oder diese L’Araignee, das konnte sie jedoch nicht erkennen.
»Moment mal«, sagte sie. »L’Araignee ... was bedeutet das?«
»Spinne«, erwiderte Rictor. Seine Stimme klang dumpf. »Es bedeutet Spinne. Die Spinne mit dem schwarzen Faden. Ihrem schwarzen Wurm.«
Elena starrte ihn an. »Die Frau, die dieses Ding in Arturs Psyche gepflanzt hat, kommt her, um sich mit mir zu treffen?«
Rictor mahlte mit den Kiefern. »Erinnern Sie sich daran, dass ich Ihnen gesagt habe, Sie müssten stark im Kopf sein, Elena? Wissen Sie das noch?«
Sie nickte nur, weil sie kein Wort herausbekam. Die Miene auf seinem Gesicht machte ihr entsetzliche Angst.
»Gut«, sagte er. »Denn sie ist fast bereit für Sie.«
Artur öffnete die Augen in der realen Welt, der harten, weißen Welt der Einrichtung. Die erste Person, die er sah, war Graves. Der blutige Fetzen war verschwunden. Schweißperlen rollten über seine Kopfhaut, seinen Körper, sie tränkten seine Kleidung. Seine Kehle tat weh. Er hatte geschrien.
Und nicht wegen des Stofffetzens und des Todes, der darin enthalten war.
Elena, dachte er und griff nach ihr. Er konnte ihre Gegenwart in seinem Herzen fühlen, nicht nur den Gedanken an sie, sondern eine echte Präsenz. Doch das spielte keine Rolle, er konnte sie ja dennoch nicht finden. Er konnte das Ergebnis dieses schrecklichen Kampfes mit Charles Darling nicht erkennen.
Die Verbindung zwischen ihnen war so stark gewesen, als Elena ihm entrissen wurde, dass ein Stück von Artur mit ihr gegangen war. Der sehende Teil seines Geistes, ein Stück seines Bewusstseins. Eine Vision ohne körperliche Berührung, was eigentlich
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