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Shadow Touch

Titel: Shadow Touch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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»Aber das heißt nicht, dass Sie ein schlechter Mensch sind.«
    Er blieb stehen und sah sie an.
    »Na gut«, lenkte sie ein. »Sie sind ein schlechter Mensch.«
    Er setzte sich wieder in Bewegung. Seine Miene wirkte besorgt. »Ich hätte es nie so weit kommen lassen dürfen.«
    »Dieses Gespräch hatten wir doch bereits. Wenn Sie glauben, ich sollte Angst haben ...«
    »Nein, ich meinte etwas anderes.«
    »Und was?«
    Als er stumm blieb, was ihr unbehaglich war, sprach Elena weiter. »Hat das etwas mit dem Stockholm-Syndrom zu tun? Denn das trifft hier nicht zu. Ich habe nichts am Hut mit diesem >Entführte Frau, starker männlicher Entführer, Machtgefälle, Liebe<-Ding.«
    »Wie bitte? Elena, ich ...«Er schien wirklich erschrocken zu sein. »Haben Sie mich eben männlich genannt?«
    »Vergessen Sie’s!«, fuhr sie ihn an und errötete. »Was wollten Sie sagen?«
    Er starrte sie immer noch an. »Nichts. Vergessen Sie’s.«
    Na klar. Am liebsten hätte sie ihn geschlagen.
    »Sie sind nicht kräftig genug, um mir wirklich wehzutun«, sagte er.
    »Soll ich es ausprobieren?« Nachdem sie mit Charles Darling fertig geworden war, konnte sie alles schaffen. Die Rote Sonja konnte sie mal kreuzweise.
    Rictor ignorierte sie. Schließlich erreichten sie das Labor. Es war derselbe Raum, in den Elena an ihrem ersten Tag gebracht worden war. Der Arzt wartete bereits auf sie, und auf dem Tisch hinter ihm sah sie einen Teil eines männlichen Körpers. Einen Augenblick lang glaubte sie, es wäre Artur, und fast hätte sie einen Schrei ausgestoßen. Aber sie unterdrückte jeden Laut und beruhigte ihr Herz, das rasend schnell schlug.
    Artur. Sie rief ihn, während sie sich an seine dunklen Augen erinnerte - seine sanfte Berührung. Artur, bitte, bleib am Leben.
    »Keine Angst«, murmelte Rictor. »Er ist es nicht.«
    »Danke«, hauchte sie.
    »Nein«, erwiderte er ebenso leise. »Danken Sie mir nicht.«
    Als sie näher kam, konnte sie erkennen, dass der Mann älter war, ein runzliger, weißhaariger Gentleman mit dünnen Beinen und einem schlaffen, von Bartstoppeln übersäten Gesicht. Er war nicht festgeschnallt. Sein Körper glich eher einer Maschine denn einem Menschen: Aus den bläulichen Venen seiner blassen Arme ragten Drähte heraus; Elektroden übersäten seine Brust, und er atmete flach. Elena brauchte ihn nicht zu berühren, um zu wissen, dass er nicht mehr lange leben würde.
    »Sie sind ein Psychopath«, sagte sie zu dem Arzt. Sie war entsetzt, gleichzeitig jedoch dankbar, schrecklich dankbar, dass die Person vor ihr kein Kind war. Sie vermutete, dass dieser kalte Arzt dazu in der Lage wäre. Er hatte sie studiert, k ann te ihre Geschichte, ihre Schwächen.
    »Nein, meine Liebe«, erwiderte der Arzt. »Der Psychopath hier ist Mr. Darling.« Er deutete auf den bewusstlosen Mann. »Wie lautet Ihre Diagnose?«
    »Er ist alt.«
    Der Arzt runzelte die Stirn. »Ich erwarte eine etwas ... tiefergehende Antwort.«
    Genau. Heil ihn zuerst einmal und spiel später den Klugscheißer. Ihr Mitleid musste stärker sein als Stolz oder Furcht. Sie konnte nicht zulassen, dass dieses ... Konsortium ... es ihr wegnahm. Sie würde nicht akzeptieren, dass es ihnen gelang, ihr Herz zu verhärten. Verlorene Unschuld konnte man nie wieder zurückbekommen.
    Es ist unausweichlich. Wenn du diesen Leuten entkommen willst, musst du widerliche Dinge tun. Vielleicht sogar manchmal etwas Unwiderrufliches.
    Den ersten Schritt diesen steilen Hang hinab hatte sie bereits getan. Die Grenze zum Mord zu überqueren war hart. Und damit zu leben ebenfalls. Selbst wenn man ihn an jemandem beging wie diesem ruhigen Mann. Charles Darling.
    Ich hätte mir weiter ins Gesicht blicken können, hätte ich ihn umgebracht. Es hätte mir keine schlaflosen Nächte bereitet. Wenn er mich noch einmal angreift, werde ich dasselbe tun. Und dasselbe empfinden.
    Genau das störte sie. Nicht, dass sie sich verteidigen konnte. Sondern dass sie dabei so kalt empfand.
    Andererseits erforderten schwere Zeiten verzweifelte Maßnahmen. Ein bisschen Wahnsinn war notwendig, wenn man überleben wollte, und sie wollte das hier lebendig und intakt überstehen. Ganz gleich, was es kostete.
    Elena berührte die Schulter des Bewusstlosen. Seine Haut war kalt. »Wie heißt er?«
    Der Arzt warf einen Blick auf sein Klemmbrett. »John Burkles.«
    John. Sie fragte sich, wie er wohl hergekommen sein mochte. Rictor konnte es ihr vermutlich sagen. Immerhin war er ein magischer Gedankenleser. Er

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