Shadow Touch
stand an der Tür, im Schatten. Was würde er wohl tun, wenn sie dem Arzt das Hirn bis in die Zehen rammte? Oder wenn sie den alten Mann dazu brachte, nach seiner Mama zu rufen? Gott. Daneben würde ein tödlicher Autounfall geradezu lächerlich aussehen. So viel zum Thema Mitleid.
Reden ist einfach.
Schon möglich, aber Elena kam sich recht billig vor. Von Worten zu Taten überzugehen kam ihr nicht sonderlich schwer vor.
Sie sank tief in den Geist des alten Mannes, suchte die Wurzel der Krankheit, die sie bereits in seinem Körper fühlte. Und fand sie beinahe augenblicklich. Krebs. Ein Klumpen in seiner Wirbelsäule.
Mehr noch ... mit der ganzen Wirbelsäule stimmte etwas nicht. Ihr Rücken tat weh, als sie den Grund fand. Mitfühlende Schmerzen infolge der Lähmung. Der Bruch war noch nicht alt. Seine Beine waren noch nicht verkümmert, aber Elena wusste nicht genau, wie sie mit diesem Gebrechen umgehen sollte. Ihr war klar, wie sie es heilen konnte, aber bislang hatte sie sich vor solchen Bereichen immer gehütet. Die Heilung einer derartigen Krankheit war einfach zu auffällig. Was jetzt allerdings keine Rolle spielte.
Zuerst machte sie sich an den Krebs. Sie bewegte sich nicht, atmete ihm das Bild von Gesundheit ein, aufmunternd und anregend. Er reagierte - womit sie auch gerechnet hatte. Es gab kaum einen Menschen, der nicht um sein Leben kämpfte, wenn man ihm die Gelegenheit dazu gab.
Dann glitt sie zu seinem Rückgrat. Nervenregeneration war erheblich schwieriger, wenngleich nicht unmöglich. Wissenschaftler hatten es bei Ratten bereits erfolgreich durchgeführt, Rückgratstränge durch verschiedene Behandlungen erneuert, von denen einige mit Elektrizität arbeiteten. Wenn die Nerven des Zentralnervensystems unterbrochen wurden, hörten sie für gewöhnlich einfach auf zu arbeiten. Sie entwickelten sich nicht zurück, wie Nerven in anderen Körperteilen, sondern schalteten einfach nur ab. Wenigstens stand das in allen wissenschaftlichen Magazinen und Zeitschriften. Aber Autodidaktik hatte ihre Grenzen.
Elena konnte sie wieder anstellen. Sie wusste nicht, wie, nur dass sie es wollte ... Also visualisierte sie es, und der Körper reagierte. Es war nicht einfach. Diese Aufgabe erforderte Fingerspitzengefühl und Instinkt. Aber sie konnte es schaffen. Sie konnte es.
Und sie schaffte es. John Burkles’ Körper hörte zu, die Nerven befreiten sich aus ihrer Erstarrung. Elena konnte zwar keine Garantien geben, aber nach einer Weile, vielleicht erst nach einer langen Zeit, würde der Mann seine Beine wieder bewegen können. Falls er nicht an Altersschwäche starb, würde er vielleicht in den letzten Tagen vor seinem Tod wieder laufen können.
»Fertig«, sagte Elena. Sie musste sich zwingen, deutlich zu sprechen, so erschöpft war sie. Sie beugte sich über den Tisch, als ihre Knie nachgaben.
»Der Krebs ist weg?« Die Augen des Arztes leuchteten hell. »Er kann wieder laufen?«
»Nein und vielleicht. Sie müssen ihm Zeit lassen. Der Krebs entwickelt sich jetzt gerade zurück, ich habe auch seine Nervenbahnen stimuliert. Der Krebs dürfte in einer Woche verschwunden sein. Aber seine Beine wird er erst viel später wieder gebrauchen können.«
»Ich hatte den Eindruck, dass Ihre Ergebnisse ... unmittelbarer sind.« Er klang ein wenig enttäuscht. Elena warf ihm einen finsteren Blick zu.
»Für was halten Sie mich? Wenn Sie wollen, dass der Krebs sofort verschwindet, operieren Sie ihn doch selbst. Und wenn er sofort gehen können soll, dann binden Sie ihm Schnüre an die Hacken und lassen Sie ihn tanzen wie eine Marionette. Ich fördere einen natürlichen Heilungsprozess, Doktor. Das erfordert Zeit. Aber er liegt nicht mehr im Sterben. Nur darauf sollte es ankommen.«
»Wir alle müssen sterben«, erwiderte der Arzt, während er sich etwas auf seinem Klemmbrett notierte. »Es sei denn, Sie können auch das hinauszögern.«
»Ich bin nicht Gott«, gab Elena zurück.
»Aber Ihre Gabe ist es vielleicht.« Der Arzt blickte auf John Burkles’ Körper. »Wann hat es sich manifestiert?«
»Manifestiert?«
»Ihre Gabe. Sie waren doch sicher nicht schon immer dazu in der Lage.«
»Wenn Sie das sagen.«
Der Arzt wirkte schockiert. Zum ersten Mal. »Wollen Sie behaupten, dass Sie diese Fähigkeiten schon Ihr ganzes Leben lang verwenden konnten?«
»Sicher. Warum auch nicht?«
»Die meisten benötigen eine sehr große Menge biologischen Stress, um ihre latenten Gaben zu manifestieren. Normalerweise
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