Shadow Touch
können. Sie war noch nie in ihrem Leben gezwungen gewesen, so schnell zu rennen. Als Rictor plötzlich stehen blieb, prallte sie gegen seine Schulter, taumelte ein paar Schritte von ihm weg und wäre beinahe auf die Knie gefallen. Sie wollte schon protestieren. Ihre Eingeweide taten weh und ihre Lungen brannten wie ein Hochofen. Aber Rictor zog sie zurück, lautlos und schnell. Elena hörte nichts hinter sich, aber Rictor flüsterte: »L’Araignee ist unterwegs zu Ihnen.«
»Sie haben mir schon gesagt, dass dies passieren würde.«
»Aber jetzt ist sie wütend.«
»Kann Sie uns spüren?« Elena hatte keine Ahnung, wozu diese Frau fähig war, aber wenn sie jemanden wie den ruhigen Mann zügeln konnte, war alles möglich.
»Nur mich, aber sie kommt nicht auf die Idee, meine Bewegungen nachzuverfolgen. L’Araignee vertraut meinem Gehorsam blind. Sie jedoch hat sie noch nicht an sich gebunden, also wird sie auf die altmodische Art nach Ihnen suchen. Zuerst im Labor. Der Arzt wird ihr verraten, dass es einen Notfall gegeben hat, aber sie wird nicht selbst zum Level eins hinunterfahren. Sie wird einen Pfleger schicken, der Sie suchen soll. Damit gewinnen wir Zeit.«
»Kann Sie denn in Ihrem Geist nicht lesen? Mit diesem ... diesem Wurm?«
Er sah sie scharf an. »Sie kontrolliert mich nicht auf diese Weise. Aus diesem Grund bin ich zwar weit weniger frei als Charles Darling, sehe jedoch auch mehr Schlupflöcher, als er sich jemals träumen ließe.«
»Ich verstehe Sie einfach nicht, Rictor. Warum sind Sie so anders?«
»Blut«, erwiderte er und zerrte sie dann wieder hinter sich her. Sie rannten, so schnell sie konnten, die gewundenen Korridore entlang. Elena wusste nicht, wie es ihnen gelingen konnte, so weit zu kommen, ohne aufgespürt zu werden, aber Rictor bewegte sich vollkommen zuversichtlich. Elena fühlte sich zwar längst nicht so kühn wie er, andererseits konnte sie aber auch keine Gedanken lesen.
Schließlich wurde er langsamer. Elena hörte männliche Stimmen.
»Spielen Sie Theater«, flüsterte er. Sie bogen um eine Ecke und standen zwei Pflegern in Weiß gegenüber. Zwischen ihnen ging Artur.
Hinterlistiger Mistkerl, dachte Elena. Das haben Sie geplant!
Artur war nicht mehr nackt. Er trug einen schwarzen Overall, der am Hals geöffnet war. Die Hände, mit Plastikbändern gefesselt, waren mit schwarzen Handschuhen bekleidet. Und die Füße mit Socken. Er wirkte müde, aber gesund. Lebendig. Elena begegnete seinem Blick. Es fühlte sich an wie eine Heimkehr.
»Kommen Sie.« Rictor zog sie langsam an den Männern vorbei. Viel zu langsam. Ihr entging nicht, wie er mit dem Kinn auf Artur deutete und wie der Russe ihn mit wissenden, zusammengekniffenen Augen anstarrte.
Der Flur war nicht sehr breit. Die Pfleger traten zur Seite, um Rictor vorbeizulassen. Elena spürte, wie die beiden Männer sie einen Augenblick lang anstarrten, statt Artur im Auge zu behalten. Ein dummer Fehler.
Elena drehte ihnen den Rücken zu; hörte das dumpfe Klatschen von Fleisch auf Fleisch, und dann ein erschrecktes Grunzen. Sie drehte sich herum. Ein Pfleger sackte bewusstlos an der Wand herunter. Der andere krümmte sich zusammen, als Artur ihm ein Knie in die Lenden rammte und ihn dann ins Gesicht trat. Der Mann hörte auf zu jammern. Arturs Hände waren immer noch gefesselt.
»Was hat Sie so lange aufgehalten?« Rictor trat rasch und dennoch ohne Hast und gelassen zu den am Boden liegenden Männern. Weder seiner Stimme noch seiner Miene war Furcht anzumerken. Er hatte gewusst, dass dies geschehen würde, davon war Elena fest überzeugt. Sie sah zu, wie er sich einen Mann über die Schulter warf. Artur packte den anderen an den Knöcheln. Elena half ihm.
»Ich habe auf Sie gewartet.« Artur sah Elena so eindringlich an, dass ihr der Atem stockte. »Es tut gut, dich zu sehen, Elena. Ich kann dir gar nicht sagen, wie gut.«
»Mir ebenso.«
»Schnell.« Rictor führte sie zu einer grünen, unbeschrif-teten Tür. Sie war nicht verschlossen, und die Kammer dahinter sah aus wie ein ... Besenschrank.
»Ja, Elena, auch der Teufel hält sein Haus sauber.« Rictor warf seinen Mann kurzerhand in die Ecke. Artur und Elena folgten seinem Beispiel. »Wir können sie nicht fesseln, aber eine Weile dürften sie ohnmächtig sein. Sie haben sie gut getroffen.« Er packte Elenas Hand. »Falls wir jemandem begegnen, tun Sie so, als wären Sie meine Gefangene.« Er zog sie wieder in den Korridor. Sie wehrte sich, aber Rictor gab nicht
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