Shadow Touch
Streichhölzer.
»Da sind Kerzen«, rief Amiri und zündete eine an. Das Licht wirkte wie Balsam auf Arturs müde Augen.
Die Hütte hatte nur einen Raum. Ein großes Bett stand an der gegenüberliegenden Wand, daneben ein kleiner Kleiderschrank. In der anderen Ecke gab es einen kleinen Ofen und ein paar Schränke. Ihre Füße quietschten nass auf dem Holzboden.
»Durchsuch den Kleiderschrank«, bat Artur Elena. »Und sieh, ob du ein paar trockene Sachen findest.«
Rik und Amiri waren schon dabei, die Schränke nach Lebensmitteln zu durchwühlen. Sie fanden Dosenfleisch und Fruchtkonserven, und auch einige Flaschen Wasser.
»He«, Rik hielt Artur eine Flasche hin. »Das ist eine fremde Sprache.«
Artur nahm die Flasche entgegen. Diese Schrift mochte für Rik fremdartig sein, für ihn bedeutete sie Heimat. Es war Kyrillisch. Russisch. Sie waren in Russland. Artur wandte sich erstaunt um und suchte nach mehr Anhaltspunkten. Über der Eingangstür befand sich ein Buchregal. Artur durchsuchte es. Er fand alte Magazine. Die meisten waren politisch, einige jedoch behandelten auch nautische Themen. Die Adresse war Wladiwostok, eine große Hafenstadt am Rand des Pazifiks.
»Bozhe moy!«, stieß Artur hervor.
»Was?« Elena wühlte immer noch im Schrank herum, zog Kleider heraus und warf sie aufs Bett.
»Wir sind in Russland«, erklärte er, während er versuchte, mit dieser verblüffenden Entdeckung fertig zu werden. »Und zwar vermutlich dicht an der Pazifikküste.«
Rik ließ eine Dose fallen. »Im Ernst?«
»Es ist eine begründete Vermutung«, erklärte Artur, der die Gier nicht übersehen konnte, die sich auf dem Gesicht des jungen Mannes abzeichnete. Eine verzweifelte Sehnsucht, gemischt mit Kummer. Es war schrecklich, das mit anzusehen. Schrecklich, weil diese kurze Berührung Artur gezeigt hatte, was Rik hatte ertragen müssen. Er war drei Monate in diesen Tank gesperrt gewesen, gebunden und unfähig, sich zu rühren, hatte Experimente ertragen müssen und wurde gefoltert, um eine Wandlung zu erzwingen. Rik war erst achtzehn Jahre alt. Er war lange stark geblieben, doch in den letzten Wochen war er der Verzweiflung erlegen. Niemand war gekommen, um ihn zu retten. Er würde in diesem Tank sterben, hatte er geglaubt, in seinen eigenen Exkrementen. Er würde sterben.
»Rik. Amiri.« Elenas Stimme klang ruhig. »Ihr müsst frieren. Sucht euch Kleidung aus.«
Artur bezweifelte, dass die Kälte den beiden Gestaltwandlern so zusetzte wie Elena und ihm selbst, aber die beiden wühlten trotzdem in den Hosen und Pullovern. »Das ist Diebstahl«, bemerkte Rik, aber Artur war zu müde, um sich jetzt noch lange mit Moral zu beschäftigen.
Alle zogen sich um, und während Elena ihren nassen Kittel abstreifte, drehten sich die Männer um. Artur versuchte, nicht an Elenas Körper zu denken, an das Gefühl, als sie sich in jenem Traum an ihn geschmiegt hatte oder im Wald an seiner Seite gegangen war. Es fiel ihm schwer. Bei jedem Rascheln des Stoffes stellte er sich ihre warme, weiche und dabei blasse Haut vor und hätte sich am liebsten herumgedreht und sie wie ein Halbwüchsiger angestarrt. Das war einfach nicht zu fassen. Seit er Russland verlassen hatte, glaubte er, dass er sich irgendwie abgewöhnt hatte, Frauen zu begehren, dass er das Verlangen geradezu aus seinem Körper gezwungen hatte. Wie es aber schien, war das ein Irrtum.
Wären er und Elena allein gewesen, so hätte er vielleicht den Mut aufgebracht, ihre Nähe zu erproben, mit einer Berührung, mit den Händen, den Lippen. Einfach und wunder-voll. Möglicherweise war es besser, dass sie nicht allein waren; Artur vermutete, es würde sein Leben, so wie er es kannte, verändern, sobald er Elena auch nur einmal kostete. Und dass es ihn dann in etwas anderes verwandelte, etwas Neues, Unbekanntes. Er wusste nicht, ob er dafür bereit war.
Als er sich schließlich umdrehte, war Elena in einen dicken grauen Pullover und einen langen grünen Rock gehüllt, der ihr bis zu den Knöcheln reichte. Ihre Socken hatte sie gegen Sandalen eingetauscht. Die Kleidung war viel zu groß für sie; mit ihren dunklen Augen und dem geschorenen Haar sah sie eher wie ein verwahrlostes Kind aus, aber nicht wie eine Frau.
Und trotzdem wirkte sie entzückend.
Sei kein Narr!, schalt sich Artur, dem das Herz bis in den Hals schlug, als er ihren schüchternen Blick erwiderte. Dafür bist du doch viel zu klug.
Sie aßen hastig von den mageren Vorräten in dem Blockhaus, und unter
Weitere Kostenlose Bücher