Shadow Touch
Darling, der noch lebte, frei herumlief und vermutlich immer noch von Elena besessen war. Er stieg in den Lieferwagen, suchte nach den Schlüsseln, fand jedoch keine. »Ich kann die Geschichten von Menschen und Objekten lesen, wenn ich sie berühre. Das Konsortium hielt diese Fähigkeit für nützlich. Aber es ist nur eine Verbrecherorganisation. Sie wollen uns für Experimente benutzen oder versklaven, und das alles nur, um ihre Pläne weiterzutreiben.«
»Was sind das für Pläne?«
Artur löste die Verkleidung unter dem Lenkrad. »Es geht um mehr als nur um Geld und Macht, aber worum es genau geht, das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass ihre Anführerin, Beatrix Weave, Pläne hat. Ehrgeizige, weit reichende Pläne.«
»Und Sie?« Amiri trat einen Schritt näher. »Wie sieht Ihr Plan aus, diesem Albtraum zu entkommen?«
Artur hielt inne und sah Amiri an. »Wenn Sie wollen, kann mein Plan auch Ihr Plan sein. Wir werden eine Möglichkeit finden, meine Freunde zu rufen, und uns versteckt halten, bis sie uns abholen. Falls sie das nicht können, gehen wir zu ihnen. Wir werden jedenfalls nicht zum Konsortium zurückkehren.«
»Ich würde eher sterben«, erklärte Amiri. Er klang sehr ernst. Artur war kein Mann, der den Tod so leicht einer Notlage vorzog, aber selbst er musste ihm zustimmen. Die Kontrolle über seinen Geist an Beatrix Weave zu verlieren war eine weit schlimmere Strafe als der endlose Schlaf.
»Das werde ich nicht vergessen«, sagte er und fuhr leiser fort: »Vielleicht können Sie mir dieselbe Gunst erweisen.«
Es gab keinen größeren Vertrauensbeweis, als sein Leben einer anderen Person anzuvertrauen. Artur wusste, dass dies dem Gestaltwandler etwas bedeuten musste.
»Selbstverständlich«, erwiderte Amiri nach kurzem Zögern. Er senkte den Kopf und schwieg, während Artur den Lieferwagen kurzschloss. Der Motor sprang dröhnend an; es war ein tiefes Grollen, das eher tierisch als mechanisch klang. Elena und Rik tauchten in der Tür des Blockhauses auf.
»Seid ihr so weit?«, rief Artur ihnen zu.
Elena zögerte keine Sekunde. Sie lief zur Beifahrertür und stieg ein. Rik bemühte sich, die beschädigte Seitentür zu schließen, und leistete dann Amiri Gesellschaft, der auf die Pritsche sprang.
»Werden wir jemals Gelegenheit haben, ihnen das zurückzuzahlen?«, fragte Elena und blickte stirnrunzelnd auf das kleine Blockhaus. Sie zupfte an der Wolle ihres grauen Pullovers.
»Wir werden es versuchen«, versprach Artur ohne viel Überzeugung. Er stahl nicht gern, aber das hier war nun mal notwendig. In ihrer Lage wollte er sich keine Gedanken über den Verlust von Kleidung und etwas Nahrung machen.
Er schaltete die Scheinwerfer an und fuhr los. Der Schotterweg, der von dem Blockhaus wegführte, war holprig, und die Hauptstraße, die sie nach einer langen, Übelkeit erregenden Fahrt, die sie bis auf die Knochen durchschüttelte, erreichten, war auch nur wenig besser. Überall lauerten Schlaglöcher; eben noch war die Straße einigermaßen eben, im nächsten Augenblick nur noch eine Piste.
Nachdem sie eine Stunde gefahren waren, sah Artur ein Straßenschild, auf dem Wladiwostok stand. Und es wurde heller.
»Das war eine kurze Nacht«, bemerkte Elena.
»Wir sind hoch oben im Norden, und es ist Sommer. Die Tage sind hier sehr lang.« Artur wäre Dunkelheit lieber gewesen. Jeder, der ihnen entgegenkam oder sie überholte, konnte in ihr Fahrzeug sehen.
Die Straße wurde besser. In regelmäßigen Abständen tauchten Parkplätze auf, mit winzigen Imbissen. Artur versuchte sich zu erinnern, ob es außerhalb der Stadt irgendwelche Kontrollpunkte der Polizei gab. Wenn sie angehalten wurden, konnten sie unmöglich verheimlichen, dass einige von ihnen Ausländer waren, noch dazu Ausländer ohne Reisepässe, Geld oder den Stempel eines Hotels, die in einem gestohlenen Wagen fuhren.
Entzückend.
Elena beugte sich zu ihm und warf einen Blick auf die Armaturen unter dem Lenkrad. »Wir brauchen noch kein Benzin, oder?«
Artur blickte auf die Tankanzeige und fluchte. Wie dumm. Er verlor seinen Verstand, seine Überlegungskraft. Der gesunde Menschenverstand war offenbar aus dem Fenster geflogen. Er hatte vergessen, den Benzinstand zu kontrollieren, bevor sie losgefahren waren, und jetzt näherte sich der Anzeiger entmutigend dem Reservesymbol.
»Gibt es Tankstellen in der Nähe?«, erkundigte sich Rik.
»Sie sollten lieber fragen, wie wir das Benzin bezahlen wollen«, erwiderte Artur. Es waren noch ein
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