Shane - Das erste Jahr (German Edition)
das Glas am Boden zerbarst.
Sie stemmte sich noch einmal nach oben, dann kam die Welle und schob sie aus dem Loch in der Wand hinaus.
Sie versuchte sich umzublicken, sie wollte die alte Frau noch einmal sehen, sie wollte noch etwas sagen, sich wenigstens bedanken. Dann hörte sie, wie die Tür vorn an der Hauswand zerbarst. Shane riss die Augen auf. Sie blickte über sich, hielt sich mit den Augen fest und ließ sich von der Welle nach oben tragen. Sie glitt zwischen den Häusern empor, landete auf dem niedrigen Dach des Hauses der alten Frau, drehte sich um und rannte so schnell sie konnte davon.
Als sie die Treppe hinaufging, schlug ihr Herz nicht mehr ganz so schnell, sie zwang sich langsam zu atmen. In ihrem Kopf herrschte Chaos, mehr denn je, Fragen über Fragen machten sich breit. Fragen und Angst.
Shane blieb abrupt stehen. Sie blickte über den Flur.
Die Tür von ihrem Zimmer war nur angelehnt. Jemand war in ihrem Zimmer. Gertie.
Die alte Frau sank zu Boden. Ihre Kraft hatte sie verlassen, hatte sich aufgelöst wie der Rauch ihres täglichen Kaffees. Sie konnte hören, wie das Holz zertrümmert wurde, zerschlitzt von bösen Gedanken und schweren Waffen, von starker Kraft von hunderten von ihnen.
Hedwig kniff die Augen zusammen. Sie konnte spüren, wie wütend sie waren. Wütend über den massiven Riegel, den sie über die Tür gelegt hatte. Sie hatte ihn mit ihrer letzten Kraft in die Halterung gestemmt, sie hatte das Geräusch gehört, welches ihrer Hüfte entfahren war, sie hatte sich nicht darum geschert, sie hatte die Tür gesichert, so wie es ihr lieber guter Kurt ihr einst gezeigt hatte. Dann war sie vorbei an dem Mädchen in die Küche gegangen, langsam, sie hatte sich setzen müssen. Nun hob die alte Frau den Kopf. Durch den Flur und das Loch in der Badezimmerwand zog die eiskalte Luft. Hedwig hob den Kopf und zog die Luft ein. Sie konnte es riechen. Es würde Tauwetter geben.
„Was ist das, Shane?“
Shane öffnete den Mund. Sie konnte keinen einzigen klaren Gedanken fassen, doch nun musste sie sich erst einmal um Gertie kümmern. Sie blickte auf die Stapel Zeitungsartikel auf ihrem Schreibtisch, die Mutter hatte den Papierkorb ausgeleert. Mist!
„Das ist …“
„Was treibst du hier, Shane?“
„Ich …“
„Ich will sofort wissen, wo du den Nachmittag über warst! Und ich will deinen Rucksack sehen!“
Mark versuchte den Roller durch die enge Gasse zu lenken, doch es schien aussichtslos. Ein eisiger Film hatte sich über die Straßen gelegt und sie in eine einzige Eisbahn verwandelt. „Scheiße!“ Mark stieg ab und griff sich an den Kopf. „Scheiße, Scheiße Scheiße!“ Er trat gegen den Anhänger. „Mist, verfluchter!“
Als er in den kleinen Laden trat, zuckte er kurz zusammen. Ein Mann hinter dem Tresen drehte sich zu ihm um.
„Ach, grüß dich, Mark! Dachte schon, du lässt mich hängen wie alle anderen hier.“
„Hi, Schmunte! Wann bekommst du endlich eine neue Klingel? Das Ding da haut einem ja die Ohren raus!“
„Hm.“ Der dürre Mann lehnte sich auf seinen Verkaufstisch. „Lass mich mal überlegen. Wie wär’s mit Frühling?“
„Ja ja, schon klar.“
„Stehen die Laster immer noch quer auf den Straßen?“ „Ja. Und so wie’s aussieht, wirst du wohl noch länger auf deine Lieferung warten.“
„Das ist die pure Ironie! Jetzt, da mir die Leute den Laden einrennen, bekomme ich keine neue Ware mehr!“ „Tja, über Seife wirst du das ab heute nicht mehr sagen können!“ Mark hielt eine Kiste hoch.
Shane schluckte und blickte die Mutter an. Diese hatte sich über den Rucksack gebeugt und wühlte darin. Schließlich schüttete sie den ganzen Inhalt über dem Schreibtisch aus. Shane saß auf ihrem Bett und knetete die Hände. Sie kannte diesen Blick. So schnell würde sie Gertie wohl nicht loskriegen.
Sie musste sich etwas einfallen lassen. Konzentriere dich, Shane! Ganz ruhig!
„Shane!“
„Ich war im Zirkus!
„Und danach? Meine Güte, Shane, es ist fast sechs!“
„Danach war ich in der Bibliothek!“
Die Mutter hielt kurz inne, dann schob sie die Sachen aus dem Rucksack auf dem Tisch hin und her. Schließlich hob sie die Schultern und blickte die Tochter an. „Welches Buch hast du ausgeliehen?“
„Keines.“
Der Blick der Mutter verdunkelte sich. „Shane, wenn du mich verarschen …“
„Ich habe dort gelesen.“
Das Gewitter auf Gertie’s Stirn hielt inne.
„Manche Bücher sind so schwer, ich kann
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