Shardik
trugen Schilde, die sie den Toten der dezimierten Abteilung aus Toniida abgenommen hatten, und jedesmal, wenn ein Feind niedergeschlagen wurde, bückte sich der gegen ihn kämpfende Ortelganer, um die fremden Waffen zu ergattern, die er für besser hielt als die eigenen – obwohl beide sehr wahrscheinlich aus Gelter Eisen geschmiedet waren.
Plötzlich erfolgte ein neuer beklanischer Angriff gegen den rechten Flügel der Ortelganer, und wieder erhob sich der taktmäßige Kriegsruf »Bek-la Maut!« über den Lärm in der Umgebung. Gel-Ethlin, der Kreet-Liss soeben Befehl zu einem erneuten Angriff erteilen wollte, blickte nach links, um zu sehen, was geschehen war, als ihn jemand am Ärmel zupfte. Es war Shaltnekan.
»Das sind meine Jungs, die jetzt drüben angreifen«, sagte er.
»Entgegen meinem Befehl!« schrie Gel-Ethlin. »Was soll das heißen? Zurück – «
»Sie werden im nächsten Augenblick durchbrechen, Herr, wenn ich eine Ahnung von dem Geschäft habe«, sagte Shaltnekan. »Du wirst uns doch nicht verbieten, sie jetzt zu verfolgen?«
»Ich verbiete es ganz entschieden!« sagte Gel-Ethlin.
»Was wird man in Bekla sagen, Herr, wenn wir sie geordnet abziehen lassen?« fragte Shaltnekan. »Das wird man uns nie verzeihen. Sie müssen in die Flucht geschlagen – zermalmt werden. Und jetzt ist der Moment dazu, sonst entkommen sie im Dunkel.«
Die Ortelganer liefen aus der Bresche zurück, als Shaltnekans Angriff sich in ihre rechte Flanke bohrte. Kreet-Liss und seine Leute folgten ihnen und erstachen im Vorgehen die verwundeten Feinde. Wenige Minuten später war die ursprüngliche Front der Beklaner wiederhergestellt, und als Gel-Ethlin nach links blickte, sah er die Lücke, wo Shaltnekans Kompanie ihren Platz verlassen hatte. Es ließ sich nicht leugnen, daß die Initiative ein geschickter Zug gewesen war – und ebensowenig, daß der Behauptung, die Flucht des Feindes werde nach der von ihm erlittenen schweren Schlappe in Bekla wahrscheinlich übel aufgenommen werden, beträchtliches Gewicht zukam. Andererseits würde die Vernichtung des Feindes seinen Ruf stärken und jede mögliche Kritik von Seiten Santil-ke-Erketlis’ zum Schweigen bringen.
Die beklanischen Offiziere hatten befehlsgemäß ihre Truppe an der ursprünglichen Verteidigungslinie gestoppt, und die Ortelganer strömten, ohne verfolgt zu werden, über den Abhang hinunter, einige stützten ihre Verwundeten oder trugen erbeutete beklanische Waffen. Als Gel-Ethlin sie beobachtete, sprach eine Stimme vom Boden zu seinen Füßen. Es war der Pächtersohn von Kappalahs Bauernhof bei Ikat. Er hatte sich auf einen Ellbogen erhoben und bemühte sich, mit seinem Mantel eine große blutende Wunde an seinem Nacken und an der Schulter zu stillen.
»Weiter, Herr, weiter!« keuchte der Junge. »Macht sie fertig! Morgen trage ich einen Brief nach Ikat, nicht wahr, genau wie früher? Gott segne die Dame, sie wird mir einen Sack voll Gold schenken!«
Er stürzte vornüber auf das Gesicht, und zwei von Shaltnekans Männern schleppten ihn zurück hinter die Front. Gel-Ethlin hatte einen Entschluß gefaßt und wandte sich an den Trompeter.
»Nun, Wolf«, er sprach den Mann bei seinem Spitznamen an, »es hat keinen Sinn, hier müßig zu stehen! Vorwärts – alle Mann auf zur Verfolgung! Und blase laut, so daß dich alle hören!«
Kaum erscholl die Trompete, da liefen die verschiedenen beklanischen Kompanien auch schon bergab, die an den Flügeln schwärmten weit aus und versuchten, nach innen zur Straße zu gelangen. Jeder Mann hoffte, seine Kameraden zu überholen, um, soweit das möglich wäre, zum Plündern zu kommen. Dafür waren sie durch den Wind marschiert, hatten dem Angriff standgehalten und gehorsam im Regen gezittert. Allerdings würde es wenig genug oder nichts geben, was sie diesen Barbaren würden abnehmen können – außer ihren Flöhen, aber ein paar Sklaven würden in Bekla einen guten Preis erzielen, und es bestand immerhin eine vage Aussicht auf einen Baron mit Goldschmuck oder sogar auf eine Frau hinten beim Troß.
Auch Gel-Ethlin lief als einer der Vordersten, neben ihm sein Standartenträger und auf der anderen Seite Shaltnekan. Als sie an den Fuß des Hügels und zum Waldrand kamen, sah er, daß die Ortelganer sich wieder zu einer Angriffsfront formierten. Offensichtlich beabsichtigten sie nicht, kampflos unterzugehen. Zum erstenmal zog er sein Schwert. Er mochte, bevor die Sache zu Ende war, gut und gern auch noch ein paar eigene
Weitere Kostenlose Bücher