Shardik
– ehemalige Soldatenquartiere, nun aber einem anderen Zweck und einem anderen Bewohner vorbehalten. Unweit davon, um die Nordseite der Zypressengärten und den sogenannten Hakensee gruppiert, standen Steinhäuser, ähnlich wie die in Quiso, aber größer und zahlreicher. Manche wurden von den ortelganischen Anführern als Wohnungen verwendet, während andere für Geiseln und für Abordnungen von den verschiedenen Provinzvölkern bereitgehalten wurden, deren Kommen und Gehen ebenso wie Gesandtschaften für den König oder Bittschriften, die den Generälen vorgelegt werden mußten, in diesem Reich, das an seiner umstrittenen Grenze Krieg führte, an der Tagesordnung waren. Jenseits der Zypressengärten führte eine von Mauern umsäumte Straße zum Pfauentor, das war der einzige Weg durch den befestigten Wall, der die Ober- von der Unterstadt trennte.
Die Unterstadt – die eigentliche Stadt, ihre gepflasterten Straßen und staubigen Gäßchen, ihre Gerüche und ihr Lärm bei Tag. ihr Mondschein und Jasminduft bei Nacht, ihre Krüppel und Bettler, ihre Tiere und Waren, ihre überall sichtbaren Kriegs- und Plünderungsspuren, zerschlagene Türen und brandgeschwärzte Mauern – kehrt auch die Stadt aus dem Dunkel wieder? Hier war die Straße der Geldwechsler, und dahinter standen zu beiden Seiten der schmalen Stechpalmenallee die Häuser der Juwelenhändler mit ihren hohen, vergitterten Fenstern und zwei kräftigen Wächtern am Eingang, die den Fremden nach seinem Begehr fragten. Die trägen Fliegen an den offenen Zuckerwerkständen, der Geruch von Leder und Dünger, von Gewürzen, Schweiß und Kräutern, die auffallenden Korbreihen des Obstmarktes, die Plattformen, Sklavenbaracken und Versteigerungssockel des Sklavenmarktes mit seinen hübschen Kindern, den ausländischen Schwindlern und fremdländischen Sprachen, die Schuster, die inmitten des Tumultes saßen und eifrig klopften und nähten, die ziellos klappernd umherschlendernden Straßenmädchen mit ihrem konventionellen Gang und ihren Seitenblicken, die farbigen Blumen im Wasser, die Information über die Straße von einem neuen Verkauf oder Angebot, in geheimen Worten, die nur demjenigen, für den sie bestimmt waren, verständlich waren; die Streitigkeiten, Lügen, Versprechungen, die Diebe, die langgezogenen Rufe der Händler, welche die Jahre zu Gesängen gemacht haben, die Straßen der Steinmetze, Zimmerleute, Weber, der Astrologen, Ärzte und Wahrsager. Die dahinhuschenden Eidechsen, die Ratten und Hunde, das Geflügel in den Verschlägen und die hübschen Vögel in den Käfigen. Der Viehmarkt war bei den Kämpfen niedergebrannt worden, und auf eine der heraushängenden, offenen Türen des Crantempels hatte jemand einen Bärenkopf geschmiert – zwei Augen und ein zwischen runden Ohren bleckendes Maul. Das Tamarriktor, jenes Wunder, das nur vom Palast übertroffen wurde, war für immer vernichtet – dahin die konzentrischen Filigrankugeln, die Sonnenuhr mit ihrem phallischen Zeiger und der verspielten Stundenspirale, den unglaublichen, durch die grünen Sykomorenblätter lugenden Gesichtern, den großen Farnen und den blauzüngigen Flechten, der Äolsharfe und der Silbertrommel, die von selbst schlug, wenn die heiligen Tauben sich zur abendlichen Mahlzeit niederließen. Die Bruchstücke von Fleitils Meisterwerk, in einer Zeit gebaut, als niemand es für möglich hielt, daß der Krieg auf Bekla übergreifen könnte, waren insgeheim und unter bitteren Tränen in der Nacht, bevor Ged-la-Dan und seine Leute die Errichtung einer neuen Mauer durch Sklavendienst beaufsichtigten, um die Lücke zu schließen, aus den Trümmern gelesen worden. Die zwei anderen Tore, das Blaue und das Lilientor, waren sehr fest und durchaus geeignet für Beklas nunmehrige und gefährlichere Rolle einer Stadt, die Freund und Feind kaum zu unterscheiden vermochte.
An diesem wolkigen Frühjahrsmorgen glänzte die Oberfläche des vom Südwind gewellten Hakensees mit dem stumpfen, gebrochenen Schein einer gravierten Glasur. An dem einsameren Südostufer, von dem sich das von der Stadtmauer umschlossene Weideland hinauf über die Hänge des Crandor erstreckte, suchte eine Schar Kraniche ihre Nahrung; sie stelzten streitend durch das seichte Wasser und bogen ihre langen Hälse zu den Wasserpflanzen nieder. In den schützenden Zypressengärten auf der gegenüberliegenden Seite schlenderten Menschen zu zweit oder zu dritt oder saßen an windgeschützten Stellen in immergrünen Laubengängen.
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