Shardik
Ungestörtheit entgegenkommen, auch wenn wir dabei frieren müssen. Dort drüben ist ein Junge mit einem Boot, und zweifellos hat er seinen Preis, wie alles in der Welt.«
Elleroth sprach mit dem Bootsmann, wie zuvor mit Sheldra, in ausgezeichnetem Beklanisch mit kaum einer Spur eines Yeldashay-Akzents und gab ihm ein Zehnmeldstück, schloß seinen Fuchspelzmantel am Hals, stellte den dicken Kragen rund um seinen Hinterkopf hoch und stieg, gefolgt von Mollo, ins Boot.
Der Mann ruderte sie zur Seemitte, die kurzen Wellen schlugen regelmäßig und dumpf unter dem Bug an die Außenwand, und Elleroth starrte schweigend hinüber auf das Weideland, das sich von der Südseite des königlichen Hauses rund um das Westufer des Sees und bis an die Nordhänge des Crandor in der Ferne erstreckte.
»Einsam, nicht?« sagte er, jetzt wieder in Yeldashay.
»Einsam?« fragte Mollo. »Das kann man kaum sagen.«
»Nun, sagen wir also, verhältnismäßig wenig belebt – und dieses Gelände ist hübsch und eben – keine Hindernisse. Gut.« Er brach ab und lächelte, da Mollo verständnislos die Stirn runzelte. »Um aber dort anzuknüpfen, wo wir so unangenehm unterbrochen wurden: Was weißt du von Bekla und diesen bärennärrischen Flußjungen vom Telthearna?«
»Ich sage dir – so gut wie nichts. Ich hatte noch kaum Zeit, mich richtig zu erkundigen.«
»Wußtest du zum Beispiel, daß sie nach der Schlacht im Vorgebirge vor fünfeinhalb Jahren die Toten nicht begruben – die eigenen nicht und die Gel-Ethlins nicht? Sie überließen sie den Wölfen und Raubvögeln.«
»Das überrascht mich nicht. Ich war, wie ich dir sagte, auf dem Schlachtfeld, und ich bin noch nirgends so gern wieder fortgegangen. Meine zwei Burschen waren fast toll vor Angst – und das bei Tageslicht. Ich erledigte, was um Shrains willen nötig war, und entfernte mich schleunigst.«
»Hast du etwas gesehen?«
»Nein, wir spürten es nur alle instinktiv. Ach, du meinst die Überreste der Toten? Nein, wir haben die Straße selbst nicht verlassen, verstehst du, und die wurde bald nach der Schlacht, angeblich von Männern, die deshalb von Gelt herunterkamen, gesäubert.«
»Ja. Die Ortelganer kümmerten sich ja nicht um sie. Aber das war von ihnen auch gar nicht zu erwarten, oder?«
»Als die Schlacht gewonnen war, hatten die Regenfälle ja schon eingesetzt, und es wurde Nacht. Sie hatten es verzweifelt eilig, nach Bekla zu kommen.«
»Ja, aber auch nach dem Fall von Bekla unternahm kein Ortelganer etwas, obwohl es zwischen Bekla und ihrer Insel im Telthearna ein dauerndes Kommen und Gehen gab. Zur Betrachtung ist das, finde ich, ein schrecklich uninteressantes Thema, nicht? Mich langweilt es grenzenlos.«
»Ich hatte es noch nicht von dieser Seite aus betrachtet.«
»Dann fang jetzt damit an.«
Das Boot war zuerst am Süd- und dann am Ostufer des Hakensees entlanggefahren, und als es sich den Kranichen näherte, flogen sie, laut mit den weißen Flügeln schlagend, auf. Elleroth neigte den Kopf über den Bug und ließ müßig einen Finger am Rand seines eigenen Schattens durch das Wasser gleiten, während sie dahinfuhren. Nach einiger Zeit sagte Mollo: »Ich habe nie verstanden, wieso die Stadt gefallen ist. Sie eroberten sie in einem Handstreich und schlugen das Tamarriktor ein. Schön – das Tamarriktor war ein militärischer Unsinn. Aber was trieb Santil-ke-Erketlis? Warum versuchte er nicht, die Zitadelle zu halten? Die hätte man ewig halten können.«
Er wies rückwärts auf die einen Kilometer entfernte, jäh abstürzende Wand des Steinbruchs und die darüberliegende Spitze des Crandor.
»Er hat sie gehalten«, antwortete Elleroth, »die ganze Regenzeit und nachher – im ganzen fast vier Monate lang. Er erwartete einen Entsatz aus Ikat oder sogar von den Truppen in Kabin – mit denen sich dein vertrauenswürdiger Freund, der Stierzüchter, befaßte. Die Ortelganer ließen ihn lange in Frieden – sie hatten einen gesunden Respekt vor ihm bekommen, würde ich sagen –, als aber die Regenzeit vorbei und er immer noch nicht fort war, wurden sie unruhig. Sie mußten ein Heer gegen Ikat aufstellen, verstehst du, und sie hatten niemanden übrig, um Santil in der Zitadelle festzuhalten. Also schafften sie sich ihn vom Hals.«
»Vom Hals – einfach so? Was meinst du? Wie?«
Elleroth schlug mit der Handkante leicht auf die Wasserfläche, so daß ein dünner, plätschernder Halbmond aus Wassertropfen an der Bordwand entlang rückwärts
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