Shardik
flog.
»Also, wirklich, Mollo, du scheinst auf deinen Reisen nicht viel über Militärmethoden gelernt zu haben. Es gab viele Kinder in Bekla, wenn sie auch nicht alle Kinder der Zitadellengarnison waren. Die Ortelganer hängten jeden Morgen zwei Kinder angesichts der Zitadelle. Und es gab natürlich auch genug Mütter, die zur Zitadelle hinaufgehen und Erketlis anflehen konnten nachzugeben, bevor die Ortelganer sich noch weiteres einfallen ließen. Nach einigen Tagen erbot er sich zum Abzug, unter der Voraussetzung, daß man ihm gestatte, mit voller Bewaffnung abzumarschieren und unbehelligt nach Ikat zu ziehen. Die Ortelganer nahmen diese Bedingungen an. Drei Tage später versuchten sie, ihn auf dem Marsch anzugreifen, aber er war darauf vorbereitet gewesen, und es gelang ihm, sie recht wirkungsvoll zurückzuschlagen. Das ereignete sich nahe meinem Wohnsitz in Sarkid.«
Mollo wollte schon antworten, da sprach Elleroth, der im Rücken des Bootsmannes saß, wieder, ohne seinen Tonfall zu ändern.
»Wir laufen auf einen großen schwimmenden Baumstamm zu, der wahrscheinlich den Bug durchstoßen wird.«
Der Bootsmann hielt sogleich im Rudern inne und drehte sich um.
»Wo, Herr?« fragte er auf beklanisch. »Ich kann nichts feststellen.«
»Nun, ich stelle jedenfalls fest, daß du mich verstehst, wenn ich Yeldashay spreche«, antwortete Elleroth, »aber das ist kein Verbrechen. Es scheint noch kühler geworden zu sein, und der Wind ist frischer als zuvor. Ich glaube, du solltest uns zurückbringen, bevor wir uns das Telthearnafieber holen. Du hast brav gerudert – da sind noch zehn Meld für dich. Ich bin sicher, du tratschst niemals.«
»Gott segne Euch, Herr«, sagte der Bootsmann und wendete mit dem rechten Ruder.
»Wohin nun?« fragte Mollo, als sie in dem Garten an Land stiegen. »In dein Zimmer – oder in meines? Dort können wir weiterplaudern.«
»Aber, aber, Mollo – die Abhörvorrichtungen sind schon vor Tagen eingebaut worden. Du liebe Zeit, was sind das für Dilettanten, die ihr als Ausbilder in Deelguy habt! Wir wollen einen Spaziergang durch die Stadt machen – ein Blatt im Wald verstecken, verstehst du. Nun, diese Priesterin, die heute morgen zu uns sprach – die mit dem Gesicht wie ein Nachttopf –, glaubst du eigentlich, daß sie – «
Sie schritten bergab über die Straße zwischen den Mauern zum Pfauentor und wurden dort in die kleine Kammer, den sogenannten Mondraum, eingeschlossen, während der Torwächter, ungesehen, das Gegengewicht betätigte, welches die geheime Pforte öffnete. Es gab keinen Weg zwischen der Ober- und der Unterstadt außer durch diese Pforte, und die Pförtner, wachsam und unzugänglich wie Wachhunde, öffneten keinem, den zu erkennen sie nicht Weisung erhalten hatten. Als Elleroth Mollo in die Unterstadt folgte, schloß sich hinter ihnen das schwere, glatte und flache Tor, dessen vorspringende Eisenränder die Mauern auf beiden Seiten überlappten. Sie blieben eine Zeitlang über dem Stadtlärm stehen und lächelten einander zu, wie zwei Jungen, die zusammen in einen Teich springen wollen.
Die Straße der Waffenschmiede führte bergab zu dem mit Kolonnaden versehenen Platz, dem sogenannten Karawanenmarkt, wo alle in die Stadt kommenden Waren von den Zollbeamten gewogen und kontrolliert wurden. Auf der einen Seite standen die städtischen Lagerhäuser mit ihren Lade- und Abladerampen und Fleitils Bronzewaagen, auf denen man ebenso leicht einen Karren mit zwei Ochsen wie einen Sack Mehl wiegen konnte. Mollo sah zu, wie vierzig Barren Gelter Eisen gewogen wurden, als ein zerlumpter Junge mit schmutzigem Gesicht, auf einer Krücke humpelnd, an ihn stieß, sich mit einer ungeschickten Verbeugung seitlich von ihm verneigte und ihn dann anbettelte.
»Keine Mutter, Herr, keinen Vater – für einen Herrn wie Ihr sind zwei Meld gar nichts – großmütiges Gesicht – man merkt gleich, Ihr habt Glück – wollt Ihr ein nettes Mädchen kennenlernen – hütet Euch vor den Gaunern hier – in Bekla gibt es viele Verbrecher – viele Diebe – vielleicht ein Meld – braucht Ihr einen Wahrsager – wollt vielleicht spielen – Ihr könnt mich heute abend hier treffen – helft einem armen Jungen – heute noch nichts gegessen – «
Sein linkes Bein war über dem Knöchel abgetrennt worden, und der in ein schmutziges Tuch gehüllte Stumpf hing einen Fuß hoch über dem Boden. Als er sich umdrehte, pendelte das Bein schlaff, als habe es keine Kraft unterhalb des
Weitere Kostenlose Bücher