Shardik
verwandelt werden wird. Ihre Annahme und ihr Glaube, seine Macht und seine Wildheit – sie sind ein und dasselbe. Er ist schwach wie ein stummes, unwissendes Geschöpf. Sie ist stark wie die Lilienschößlinge, die selbst große Steine nicht daran hindern können, durch die Erde zu brechen.«
Sie standen vor ihr, und Kelderek hob die Hand an seine Stirn. Ihr Lächeln, mit dem sie den Gruß erwiderte, war wie ein übereinstimmender Schritt bei einem fröhlichen Tanz, ein Austausch von Vertrauen und gegenseitiger Achtung.
»Wir haben dich gestört, Saiyett.«
»Nein, wir alle tun das gleiche – was immer es ist. Ich kam hierher, weil es unter den Farnen kühler ist. Aber wir wollen nun zurück zum Feuer gehen, Kelderek, wenn dir das lieber ist.«
»Deine Wünsche, Saiyett, sind die meinen und werden es immer sein.«
Sie lächelte wieder.
»Bist du sicher?«
Er nickte und erwiderte ihr Lächeln.
»Dies ist der Großbaron von Ortelga, Ta-Kominion. Er ist gekommen, um über Shardik, unseren Herrn, zu sprechen.«
»Ich fürchte, du fühlst dich nicht wohl«, sagte sie und streckte die Finger nach seinem Handgelenk aus. »Was ist geschehen?«
»Es ist nichts, Saiyett. Ich habe Kelderek aufmerksam gemacht, daß wir sehr wenig Zeit haben. Shardik, unser Herr, muß kommen – «
In diesem Augenblick ertönte irgendwo in einiger Entfernung ein entsetzlicher Schrei im Wald – ein Schrei voller Angst und Schmerz, der denen, die ihn hörten, ins Herz stach, wie der Blitz die Augen blendet und verwirrt. Einen Augenblick herrschte Stille. Dann folgte ein zweiter Schrei, der plötzlich abbrach, als stürze ein zu Tode erschrockener Mann aus einer Höhe und schlüge auf dem Boden auf.
Kelderek wechselte einen Blick mit Ta-Kominion, und sie hatten wortlos denselben Gedanken: »Das ist der Todesschrei eines Mannes.«
Numiss und sein Gefährte kamen mit gezückten Schwertern durch die Bäume auf sie zugelaufen.
»Gott sei Dank, Herr! Wir dachten-«
»Schon gut«, sagte Ta-Kominion. »Folgt mir, vorwärts!«
Er begann zu laufen, nahm seinen Weg durch die Farne und an hohen Felsen vorbei. Die beiden Diener folgten ihm, Kelderek aber blieb bei der Tuginda und hielt mit ihr Schritt; er suchte sie zu überreden, sich nicht in Gefahr zu begeben.
»Laß dir raten, Saiyett! Warte hier, ich werde dich wissen lassen, was wir gefunden haben. Du darfst nicht dein Leben aufs Spiel setzen.«
»Jetzt besteht kein Risiko mehr«, antwortete sie. »Was geschehen ist, ist geschehen.«
»Es könnte aber – «
»Reich mir deinen Arm und hilf mir über diese Felsen. Wohin ist der junge Baron gelaufen? Das Dickicht am Waldrand ist dicht, aber wenn wir Glück haben, hat man für uns einen Weg gebahnt.«
Bald holten sie Ta-Kominion und die Diener ein, die sich mit ihren Messern durch einen Gürtel von Schlinggewächsen einen Weg hieben.
»Gibt es keinen leichteren Weg, Herr?« fragte Numiss keuchend und die Trazadadornen aus seinem Unterarm zupfend, aber er dämpfte sein Fluchen beim Anblick der Tuginda.
»Wahrscheinlich schon, aber wir müssen geradeaus dorthin gehen, woher der Schrei kam, sonst verlieren wir die Richtung und finden den Mann nicht bis zum Tagesanbruch.«
Plötzlich vernahm Kelderek einen Ton wie von Weinen und furchtsamem Wimmern. Es war eine Frauenstimme in geringer Entfernung.
»Zilthe!« rief er.
»Herr!« antwortete das Mädchen. »O kommt schnell!«
Numiss schlug sich durch die andere Seite der Schlingpflanzen einen Weg, und Kelderek folgte Ta-Kominion durch die Öffnung. Er trat unter den Bäumen heraus und blickte auf ein offenes Tal. Gegenüber, ungefähr eine halbe Meile entfernt, hing der Waldrand schwarz im Mondlicht wie ein zum Trocknen aufgehängtes Fell. Auf dem Boden konnte er gerade noch den dunklen Spalt eines Baches ausmachen, während weit zur Rechten die Gelter Berge sich undeutlich vom Nachthimmel abhoben.
Unterhalb der Stelle, wo sie standen, verlief die Straße von Ortelga nach Gelt – ein längs des Abhangs zwischen Unterholz und Gebüsch ausgetretener Pfad, gelegentlich unterbrochen von einem vor langer Zeit gefällten Baum und da und dort einem Fleck aus Steinen, die aus dem Bachbett heraufgetragen und aufs Geratewohl ausgelegt worden waren, um schlammige oder ausgebrochene Stellen auszubessern, und die durch Abnutzung mit der Zeit glatt geworden waren.
Unten am Rand der Straße hockte Zilthe, ihren Bogen neben sich, auf einem Knie, über die dunkle Form eines Körpers gebeugt.
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