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Shardik

Titel: Shardik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Adams
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nur noch eine verlassene Straße und geschlossene Türen und Fensterläden. Ohne den Kopf zu wenden, trat er langsam zurück auf den Platz und hielt zwischen den stillen, versperrten Hütten Ausschau nach einem Zeichen von Bewegung.
    »Was ist los?« fragte Balthis, der hinter ihm herankam.
    Kelderek berührte wieder sein Ohr und zeigte seine Finger. Balthis stieß einen Pfiff aus.
    »Schlimm«, sagte er. »Die werfen wohl mit Steinen, wie?«
    »Ein Pfeil«, sagte Kelderek und zeigte auf den Türpfosten.
    In diesem Augenblick öffnete sich mit scharrendem Geräusch in der Nähe eine Tür, und eine triefäugige, schmutzige alte Frau erschien. Sie humpelte und stolperte unter dem Gewicht eines Kindes, das sie in den Armen trug. Als sie näher kam, sah Kelderek erschrocken, daß es tot war. Die alte Frau wankte auf ihn zu und legte das Kind vor seinen Füßen auf die Erde. Es war ein etwa achtjähriges Mädchen, mit blutigem und verfilztem Haar und einer gelben Absonderung rund um die offenen Augen. Die alte Frau blieb gebeugt und murmelnd vor ihm stehen.
    »Was willst du, Großmutter?« fragte Kelderek. »Was ist geschehen?«
    Die alte Frau blickte ihn aus ihren vom jahrelangen Hocken über Holzfeuern geröteten Augen an.
    »Die glauben, es sieht keiner. Glauben, niemand sieht es«, flüsterte sie. »Aber Gott sieht. Gott sieht alles.«
    »Was ist geschehen?« fragte Kelderek, stieg über die Kindesleiche und faßte das stockdünne Handgelenk unter den Lumpen.
    »Ja, so ist’s recht, fragt sie doch – fragt sie, was geschehen ist«, sagte die Alte. »Wenn ihr euch beeilt, erreicht ihr sie. Sie sind noch nicht weit – sie sind noch nicht lange fort.«
    In diesem Augenblick kamen zwei Männer um die Ecke geschlendert. Sie bückten geradeaus, und ihre Gesichter zeigten die feste Entschlossenheit von Leuten, die sich einer Gefahr bewußt sind. Ohne Kelderek anzusprechen, faßten sie die Alte an den Armen und führten sie gemeinsam fort. Sie wehrte sich einen Augenblick und protestierte schrill.
    »Es ist der Statthalter von Bekla! Der Statthalter! Ich sage ihm – «
    »Komm nur mit, Mutter«, sagte einer der Männer, »komm mit uns. Du wirst doch nicht hierbleiben wollen. Komm jetzt – «
    Sie schlossen hinter sich die Tür, und gleich darauf war zu hören, wie eine schwere Querstange vorgelegt wurde.
    Kelderek und Balthis ließen das tote Kind liegen und gingen über den Platz zurück. Die Männer hatten einen Ring um die Mädchen gebildet und bückten nervös um sich.
    »Ich glaube, wir sollten nicht hierbleiben«, sagte Sencred und zeigte über den Platz. »Wir sind zu wenige, als daß es ungefährlich wäre.«
    Am anderen Ende einer von dem Platz ausgehenden Straße hatten sich Männer gesammelt, die redeten und gestikulierten. Einige waren bewaffnet.
    Kelderek nahm seinen Gürtel ab, legte seinen Bogen und Köcher auf die Erde und ging auf sie zu.
    »Vorsicht«, rief ihm Balthis nach. Kelderek beachtete ihn nicht und ging bis auf dreißig Schritt auf die Männer zu. Er hob beide Hände hoch und rief:
    »Wir wollen euch nichts zuleide tun. Wir sind Freunde.«
    Die Antwort war höhnisches Lachen, dann trat ein großer, grauhaariger Mann mit einer gebrochenen Nase vor und antwortete:
    »Ihr habt genug getan. Laßt uns in Frieden, oder wir erschlagen euch.«
    Kelderek war weniger geängstigt als aufgebracht.
    »Dann versucht doch, uns umzubringen, ihr Narren!« schrie er. »Versucht es!«
    »Ach, dann bekommen wir seine Freunde auf den Hals«, sagte ein anderer. »Warum geht ihr nicht euren Freunden nach? Sie sind noch keine Stunde fort.«
    »Folg doch seinem Rat«, sagte Balthis, der herangekommen war und nun neben Kelderek stand. »Es hat keinen Sinn zu warten, bis sie in Wut geraten und über uns herfallen.«
    »Aber unsere Leute sind müde«, sagte Kelderek ärgerlich.
    »Es wird ihnen weitaus schlimmer ergehen, wenn wir nicht hier verschwinden, mein Junge«, sagte Balthis. »Komm jetzt – ich bin kein Feigling, und auch meine Burschen sind nicht feige, aber es bringt uns keinen Vorteil hierzubleiben.« Als Kelderek noch immer zögerte, rief er den Männern zu: »Zeigt uns den Weg, dann gehen wir.«
    Darauf machten sie alle, wie ein Haufen wilder Hunde, ein paar vorsichtige Schritte vorwärts, dann begannen sie, zu schreien und nach Süden zu zeigen. Sobald Kelderek seines Wegs sicher war, zog er mit dem Fuß einen Strich durch den Staub und warnte die Männer davor, ihn zu überschreiten, bevor die Ortelganer

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