Sharon: die Frau, die zweimal starb
einem großen Bündel aus und öffnete.
Wir betraten ein furchtbares Krankenzimmer: ein langer, hoher Raum, mit Stahlblech verschlossene Fenster und eine fluoreszierende Decke, die ein kaltes, fades Tageslichtimitat ausstrahlte. Die Wände waren mit Planen aus smaragdgrünem Vinyl bedeckt, die Luft war heiß, und es roch widerlich.
Und überall Bewegung. Ein Zufallsballett.
Dutzende von Körpern zuckten, schaukelten, brutal misshandelt von der Natur und dem Los, das sie gezogen hatten. Erstarrt oder in endlos wiederkehrende Bewegungen gefangen. Schlaffe, sabbelnde Münder. Bucklige, zerbrochene Rückgrate, verwachsene und fehlende Gliedmaßen. Aus zerfetzten Chromosomen und entgleisten Nervenbahnen geborene Verrenkungen und Grimassen, noch schlimmer gemacht dadurch, dass diese Patienten jung waren - Teenager und junge Erwachsene, die nie die Vergnügungen der vermutlich ewigen Jugend kennengelernt hatten.
Einige von ihnen klammerten sich an Krücken und maßen ihren Fortschritt in Millimetern. Andere, verkrampft und steif wie Gipsfiguren, waren widerspenstig und kämpften gegen die Gebundenheit an Rollstühle an. Die Traurigsten von ihnen lagen zusammengesunken und schlaff wie wirbellose Tiere in hochrandigen Wagen und Karren, die wie überdimensionale Kinderkarren aussahen.
Wir gingen an einem Meer aus glasigen Augen vorbei, die so unbeweglich wie Plastikknöpfe waren. An Gesichtern vorbei, die aus der ledernen Sicherheit schützender Kopfbandagen heraufstarrten, ein Publikum mit leeren Gesichtern, ungestört vom leisesten Flackern eines Bewusstseins.
Eine Galerie der Deformationen - grauenhafte Zurschaustellung all dessen, was mit Menschen schiefgehen konnte, wenn sie das Licht der Welt erblickten oder nicht erblickten.
In einer Ecke des Raums plärrte ein Fernseher auf einer Konsole mit voller Lautstärke eine Publikumsshow. Die einzigen Zuschauer waren ein halbes Dutzend Wärter in blauen Jacken. Sie beachteten uns nicht, als wir vorbeigingen.
Aber die Patienten bemerkten uns. Wie magnetisiert, schwärmten sie auf Sharon zu, begannen sich um sie zu sammeln, rollten und hoppelten umher. Bald waren wir von ihnen umringt. Die Wärter rührten sich nicht.
Sharon griff in die Handtasche, nahm eine Hand voll Gummibonbons heraus und fing an, Süßigkeiten zu verteilen. Kaum war eine Schachtel leer, kam die nächste dran. Dann wieder eine.
Sie verteilte auch noch eine andere Art von Süßigkeit, küsste missgestaltete Köpfe, drückte verkrüppelte Körper an sich. Rief Patienten beim Namen, sagte ihnen, wie gut sie aussähen. Sie konkurrierten miteinander um ihre Gunstbeweise, riefen entzückt etwas aus, berührten sie, als ob sie etwas Zauberhaftes wäre.
Sie wirkte glücklicher, als ich sie je gesehen hatte: vollständig . Eine Bilderbuchprinzessin, die über ein Königreich der Verkrüppelten herrschte.
Schließlich, als die Gummibonbons verteilt waren, sagte sie: »So, das ist alles, Leute. Muss gehen.«
Brummen, weinen, noch ein paar Minuten vergingen mit Tätscheln und Drücken. Ein paar Wärter kamen herbei und fingen an, die Patienten zusammenzutreiben. Schließlich gelang es uns, ihnen zu entkommen. Fortsetzung des Chaos.
Elmo sagte: »Die lieben Sie wirklich.« Sharon schien es nicht zu hören.
Wir drei gingen bis zum Ende des großen Raums, zu einer Tür, auf der INTERNE ABTEILUNG stand und die mit einem eisernen Zieharmonikagitter geschützt war, das Elmo aufschloss.
Noch eine Schlüsseldrehung, die Tür öffnete und schloss sich hinter uns, und alles war still.
Wir gingen einen Korridor hinunter, der mit derselben grässlich grünen Vinylfarbe gestrichen war, kamen an ein paar leeren, nach Krankheit und Verzweiflung geradezu riechenden Krankenzimmern und einer Tür mit einem Maschendrahtglasfenster vorbei, durch das man mehrere stämmige Mexikanerinnen sah, die in einer dampfenden Großküche werkten, einen weiteren grünen Gang entlang und schließlich zu einer Stahltür, auf der PRIVAT stand.
Auf der anderen Seite eine neue Umgebung: Plüschteppich, gedämpfte Beleuchtung, tapezierte Wände, parfümierte Luft und Musik - die Beatles, interpretiert von einem einschläfernden Streichorchester.
Vier Räume mit dem Schild PRIVAT. Vier Eichenholztüren mit Messinggucklöchern darin. Elmo schloss eine auf und sagte »Okay«.
Der Raum war beigefarben und mit Lithografien französischer Impressionisten ausgehängt. Auch hier Plüschteppiche und sanfte Beleuchtung. Eichenholztäfelung bis zur
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