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Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Titel: Sherlock Holmes und das Phantom der Oper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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einschlagen sollte, konnte ebenfalls nur eins bedeuten.
    Mit einem plötzlichen, reißenden Geräusch brach der sechs Tonnen schwere Kronleuchter von den Trägerbalken, die ihn hielten, und stürzte ins Parkett, wo er mit solcher Macht aufschlug, daß er einen gigantischen Krater in den Boden riß, in dem er sich selbst halb begrub.
    Das Ganze konnte nicht länger als drei Sekunden gedauert haben, aber ich sage Ihnen, es schien eine Ewigkeit zu sein. Der Kronleuchter schien mitten in der Luft zu schweben, und das ganze Haus darunter war wie festgenagelt von dem Anblick seiner Flugbahn, bis er schließlich mit einem donnernden Splittern von Glas in einem Gebirge aus Staub zu Boden stürzte.
    Der Schock und der Lärm waren so groß, daß die Schreie der Menschen kaum noch zu hören waren.
    Mittlerweile hatte ich meine Geistesgegenwart wiedererlangt und hastete aus der Loge. Ich rannte die Treppen hinunter, nahm sieben Stufen gleichzeitig (in der Hoffnung, daß meine Knöchel nicht entzweibrechen würden) und flog hinter die Bühne, wo ich Ponelle zusammen mit dem übrigen Orchester in entsetzter Verblüffung vorfand. Ich griff ihn am Ärmel.
    »Schnell!« schrie ich. »Führen Sie mich aufs Dach!«
    »Aber die Menschen –« rief der Geiger, unfähig sich von der Stelle zu rühren.
    »Das Dach , Mann! Es gibt genug Leute, die sich um die Verletzten kümmern können.« Ich schlug ihm leicht ins Gesicht. »Bringen Sie mich aufs Dach!« Daraufhin zog ich ihn durch das völlig verwirrte Orchester hindurch zu dem Eingang des Orchestergrabens.
    Ponelle, der nun auch wieder bei Sinnen war, begriff, was ich wollte, und wir bahnten uns unseren Weg durch die Menge weinender, schreiender Statisten, Solisten, Inspizienten und durch das hysterisch gewordene corps de ballet , bis er schließlich eine Leiter auf dem rechten Teil der Bühne fand, die in die Obermaschinerie des Theaters hinaufführte.
    Ich stolperte hinter ihm her, rannte eine Reihe unsicherer Stege entlang und dann wieder eine neue Eisenleiter hinauf, die zu wieder anderen, bedenklich schwankenden Holzstegen führte. Schließlich kamen wir in die Kuppel. Durch das Loch, in dem einmal die Kette des Kronleuchters gehangen hatte, konnten wir das Meisterwerk des Phantoms erkennen.
    Der gigantische Kronleuchter hatte in einem zwanzig Fuß großen Radius im Parkett alles und jeden zerschmettert. Menschen kletterten wie die Ameisen übereinander, während sie versuchten zu entkommen, einander zu helfen, sich zu befreien, zu sterben.
    Ich hatte keinen Zweifel daran, daß sich unter den Opfern eine arme Frau befand, die heute abend zum ersten (und letzten) Mal in ihrem Leben die Opéra besucht hatte.
    Und ich brauche wohl kaum hinzuzufügen, daß von dem Ungeheuer, das die Verantwortung für all das trug, keine Spur zu sehen war. Das einzige, was wir vorfanden, war ein Stück schweren Kabels, das geräuschlos über der Öffnung schwang, mit ausgefransten Stahlfäden dort, wo es durchtrennt worden war – ein weiterer, äußerst überzeugender ›Unfall‹.
    »Ist da nichts?« keuchte Ponelle und starrte mich mit wilden Augen an, während ihm der Schweiß übers Gesicht lief.
    »Nichts«, antwortete ich, wobei ich gleichzeitig das Stück Papier mit der vertrauten Kursivschrift einsteckte, das jemand nur für mich dort hatte liegenlassen.
    Aber ich hatte die Worte bereits gelesen: ›Trop tard, Monsieur Sherlock Holmes‹ .
    In der Tat, zu spät!

KAPITEL ZEHN

    Rezitativ

    »Ich hätte besser daran getan, Sie zu meinem eigenen Schutz zu engagieren.«
    »Noch nie in meinem Leben habe ich so versagt.«
    »Ich bin genausowenig frei von Schuld wie Sie.«
    »Ein schönes Paar sind wir.«
    Dieses bittere Gespräch fand in Miss Adlers Suite im Grand Hôtel de Paris gegenüber der Oper statt.
    Es war am Morgen nach der Tragödie, und sie packte für Amsterdam.
    Die jüngsten Ausgaben der städtischen Zeitungen, wie Le Matin , Le Monde und Le Figaro , waren alle voll von schaurigen Einzelheiten über die Ereignisse der vergangenen Nacht. Zweifellos haben auch die englischen Zeitungen über die Katastrophe berichtet, und Sie werden vielleicht selbst davon gelesen haben, Watson: siebenundzwanzig Menschen tot, zweiundfünfzig verletzt, unzählige mußten wegen Schock behandelt werden, und die Opéra von Prozessen überflutet.
    Der Schaden im Parkett wurde schnellsten repariert und sollte, so versicherten die neuen Direktoren der Öffentlichkeit, ausreichend instand gesetzt sein, um bei

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