Shevchenko, A.K.
winziges Zimmer in der bursa, einem
Studentenwohnheim am Straßendamm unweit der Akademie. Es gab zwei Fraternitäten
- die Sodales Majoris für die Philosophen und Theologen und die Sodales Minoris
für jüngere Studenten. Obwohl das gesamte Studium dreizehn Jahre dauerte,
kamen viele Studenten mitten im Studium von den Lateinschulen, blieben zwei
Jahre und verließen die Hochschule dann wieder, um ihre Ausbildung an den
Universitäten Bologna, Straßburg, Berlin oder Königsberg fortzusetzen. Manche
von ihnen gingen auch, um ihren Militärdienst zu leisten, während andere eine
Beamtenstelle in der Staatskanzlei antraten. Bisher hatte noch niemand
entdeckt, dass Panas in Wirklichkeit Sofia war. Das Leben im chutir hatte sie stark
und gesund gemacht, und die zarte Glätte ihrer Wangen überraschte niemanden;
manche Studenten waren noch viel jünger als sie. Sie trug einen dunkelblauen
weiten Mantel, ihr kurzer Haarschnitt erinnerte an einen umgedrehten
Blumentopf, und so stürzte sie sich mit dem naiven Mut der Novizin in die Welt
der Vorlesungen, Dramen und Dispute. Sie marschierte unter der
Universitätsflagge zum Kloster Lawra, um den monatlich stattfindenden
öffentlichen Disputen beizuwohnen. Sie sang auf der Straße Psalmen, um sich ein
wenig Geld zu verdienen - und eilte dann, eine Münze in der Hand, zum Cabinet
de Lecture, einer Buchhandlung voller Schätze, oder in die Kunsthandlung, die
von einem Lombarden geführt wurde. Mit den paar Münzen kam sie nicht weit, aber
sie träumte stundenlang davon, was sie sich alles kaufen würde, wenn sie einmal
genug zusammengespart hatte.
Höhepunkt von Sofias akademischem Jahr war ein
bemerkenswertes Ereignis - der erste offizielle Besuch der russischen Zarin
Elisabeth in Kiew. Kiew lag an der äußersten Grenze ihres Reichs, und die
Tochter Peters des Großen war langsam gereist und hatte unterwegs unzählige
Schreine und Klöster besucht. Es gab Gerüchte, sie sei in schlechter
Verfassung, ermüdet von der Reise, erzürnt durch die jüngste Verschwörung gegen
sie. Aus Angst, Ihre Majestät könnten ihre Stadt langweilig finden, sparten
die Kiewer weder Kosten noch Mühen bei den Vorbereitungen für den festlichen
Einzug der kaiserlichen Prozession.
Die Prozession zog durch das Goldene Tor in die Stadt, wo
ein Schauspieler, der den Gründer Kiews - Kij - darstellte, sich in einer von
zwei geflügelten Pferden gezogenen Kutsche dem ersten Wagen näherte und der
Zarin die Schlüssel zu der ihr ergebenen Stadt überreichte. Sie wurde von den
Studenten der Akademie begrüßt, die als griechische Götter und Helden
verkleidet waren. Sofia, kostümiert als Apollo, konnte den Blick nicht von
Elisabeth wenden. Doch wer war der Mann, der in der Uniform eines
Feldmarschalls neben ihr in der Kutsche saß? Konnte das Olexij sein, der
singende Schäfer? Sofia musterte ihn und dachte: Er wird nicht der Einzige aus
unserem Dorf bleiben, der es so weit gebracht hat. Auch über mich wird eines
Tages das ganze Dorf reden! lato wird stolz
auf mich sein, ich weiß es. Vielleicht wird sogar Olexij stolz auf mich sein
... Ihre Chance kam drei Monate später. Sie studierte gerade De institutione
grammatica und kämpfte mit den Konjugationen, als die Tür aufflog.
Sie hatte vergessen, wie groß ihr Vater war; ihr winziger, warmer, wohnlicher Raum
wurde auf einmal chaotisch, klaustrophobisch.
»Oh, tatol Ich hab
dir so viel zu ...« Sie eilte auf Jakiw zu und bemerkte erst jetzt seine
sorgenvoll gerunzelte Stirn. »Ist zu Hause alles in Ordnung?«, wisperte sie
kaum hörbar. Jakiw saß auf ihrem Bett und sah aus dem Fenster. »Deine Mutter
und Schwestern lassen dich grüßen. Panas sagt, er vermisst dich.« Jakiw wandte
sich ihr zu. Er sah so kummervoll aus, dass sich Sofias Magen zusammenkrampfte
und sie beinahe nicht mitbekommen hätte, was ihr Vater sagte: »Sofia, ich bin
froh, dass du hier glücklich bist. Ich liebe dich mehr als mein Leben und
vertraue dir mehr als mir selbst. Aber ich brauche deine Hilfe, Sofia,
unbedingt. Dies wiegt mehr als meine Liebe zu dir, dies ist wichtiger als deine
Studien. Ich habe einen Brief aus Frankreich erhalten. Du musst nach London
gehen. Komm mit mir nach Hause, ich werde dir alles erklären.«
Sofia öffnete den Mund, um zu protestieren. Sie wollte
sagen, dass sie noch nicht bereit sei, dass ein Jahr nicht genüge - na gut, für
Latein reichte es bei weitem, aber nicht für Rhetorik und Philosophie - und
dass sie unmöglich tun könne, was er
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