Shogun
zu. Ein Samurai stellte sich ihm in den Weg.;.
»Halt!«
Joseph blieb stehen.
»Wohin wollt Ihr, bitte?«
»Tut mir leid, bitte, verzeiht, ich … ich weiß es nicht.«
»Ich diene Herrn Toranaga. Verzeihung, aber ich konnte nicht umhin mit anzuhören, was dort drinnen vor sich ging. Das ganze Gasthaus muß es gehört haben. Erschreckend schlechte Manieren! Schockierend für Euren Führer, daß er so laut schrie und den Frieden störte. Und für Euch auch. Ich habe Dienst hier. Ich halte es für gut, Ihr sprecht mit meinem Wachoffizier.«
»Ich glaube … danke sehr, aber ich glaube, ich gehe lieber hier entlang. Bitte, verzeiht.«
»Ihr werdet nirgends hingehen. Tut mir leid. Es sei denn, meinen Wachoffizier zu sehen.«
»Wie bitte? O ja. Ja, tut mir leid, selbstverständlich.« Joseph versuchte, wieder richtig zu denken.
»Gut. Vielen Dank.« Der Samurai drehte sich um, als ein anderer Samurai sich von der Brücke her näherte und grüßte.
»Ich habe den Auftrag, den Tsukku-san zu Herrn Toranaga zu führen.«
»Gut. Ihr werdet erwartet.«
43. Kapitel
Toranaga sah den hochgewachsenen Priester über den freien Platz näherkommen. Der flackernde Schein der Fackeln ließ sein hageres Gesicht über der Schwärze seines Bartes noch deutlicher hervortreten als sonst. Seine orangefarbene buddhistische Robe war sehr elegant; Rosenkranz und Kreuz baumelten an seiner Hüfte herab.
Zehn Schritt vor dem Podest blieb Pater Alvito stehen, kniete nieder, verneigte sich ehrerbietig und begann mit den üblichen Förmlichkeiten.
Toranaga saß allein auf dem Podest. Die im Halbkreis um ihn herum sitzenden Wachen konnten nicht hören, was sie sprachen. Nur Blackthorne war näher bei ihm und lehnte sich nachlässig gegen das Podest, wie man es ihm aufgetragen hatte. Er durchbohrte den Priester geradezu mit seinen Blicken, doch Alvito schien das nicht zu bemerken.
»Es freut mich, Euch wiederzusehen, Euer Gnaden«, sagte Alvito, als die Höflichkeit ihm gestattete, das zu tun.
»Freut mich auch, Euch zu sehen, Tsukku-san.« Toranaga lud den Priester durch eine Handbewegung ein, es sich auf dem Kissen, das auf dem Boden vor dem Podest niedergelegt worden war, bequem zu machen. »Es ist lange her, daß ich Euch gesehen habe.«
»Ja, Euer Gnaden, und es gibt soviel zu erzählen.« Alvito war sich zutiefst bewußt, daß das Kissen auf der bloßen Erde und nicht auf dem Podest für ihn bereitgelegt war. Außerdem war ihm nicht entgangen, daß Blackthorne seine Samuraischwerter jetzt in unmittelbarer Nähe von Toranaga tragen und sich so formlos hinlümmeln durfte. »Ich bringe eine vertrauliche Botschaft von meinem Oberen, dem Pater Visitator, der Euch ehrerbietig grüßen läßt.«
»Vielen Dank. Aber zunächst erzählt von Euch selbst.«
»Ach, Euer Gnaden …«, sagte Alvito, der genau wußte, daß Toranaga ein viel zu scharfer Beobachter war, als daß ihm das Bedauern entgangen wäre, das ihn erfüllte, so sehr er sich auch bemüht hatte, es abzuschütteln. »Heute abend bin ich mir meiner eigenen Gefühle nur allzu sehr bewußt. Heute abend wünsche ich mir, ich könnte meine irdischen Pflichten vergessen und mich in eine Einsiedelei zurückziehen, um zu beten und Gottes Gnade zu erflehen.« Er schämte sich ob seines eigenen Mangels an Demut.
»Worin besteht Eure Sorge, alter Freund?«
Alvito erzählte es ihm. Er wußte, daß es keinen Sinn hatte, ihm die Tatsachen verheimlichen zu wollen, denn selbstverständlich würde Toranaga sie ohnehin erfahren; außerdem war es weit besser, er erfuhr die Wahrheit, als daß er einen entstellten Bericht darüber aus zweiter oder dritter Hand zu hören bekam. »Es ist so unendlich traurig, einen Bruder zu verlieren, so schrecklich, ihn zu einem Ausgestoßenen zu machen, mag das Vergehen auch noch so furchtbar sein. Ich hätte mehr Geduld haben müssen. Es war meine Schuld.«
»Wo ist er jetzt?«
»Das weiß ich nicht, Euer Gnaden.«
Toranaga rief eine Wache herbei. »Sucht den abtrünnigen Christen und bringt ihn morgen mittag zu mir.« Der Samurai eilte davon.
»Ich bitte um Erbarmen für ihn, Euer Gnaden«, sagte Alvito rasch und meinte das ganz aufrichtig. Wieder einmal wünschte er, die Gesellschaft Jesu verfüge über einen weltlichen Arm, der die Macht hätte, Abtrünnige festzunehmen und zu bestrafen, wie sonst überall in der Welt. Er hatte wiederholt empfohlen, eine solche Institution zu schaffen, doch war er hier in Japan nie damit durchgekommen, und selbst in
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