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Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Wagen der Baubrigade vorfuhr, wurde mit tiefem Schweigen empfangen. Verdächtig war das; sonst klatschten alle in die Hände, wenn er öffentlich auftrat, ein Mädchen überreichte ihm Blumen, ein Chor der Jungen Pioniere sang ein vaterländisches Lied … nichts von alledem diesmal. Nur Schweigen. Der Fahrer, der Niktin nach Lebedewka gebracht hatte, ahnte Böses und blieb draußen im Wagen sitzen. Man füttert einen Tiger nicht, indem man sich selber vor ihn wirft … Es sind schon gute Weisheiten, die aus dem Osten kommen.
    Es half auch nichts, daß Niktin von der Tür an bis zum Podium seine Hände nach allen Seiten flattern ließ und huldvoll in die Menge grüßte. Keine Antwort ertönte. Wie eingerammte Pflöcke standen sie da, ja, selbst die Augen schienen bewegungslos. Sie haben Angst, die Guten, dachte Niktin und war ein wenig stolz. Angst vor mir, vor Tobolsk, vor Moskau – wer kann's ihnen verdenken? Nur schlechte Erfahrungen haben sie gesammelt, doch das wird von nun an anders sein. Die Augen sollen ihnen geöffnet werden für eine neue, schönere Welt.
    Korolew begrüßte Niktin am Fuße des Podiums und nicht, wie sonst üblich, vor der Tür. »Sie sehen, Genosse Niktin«, sagte er steif, »alle sind gekommen.«
    »Es geht ja auch alle an!« antwortete Niktin fröhlich. In der einen Hand trug er eine schwere Aktentasche mit Bildern, Karten und Zeichnungen. Der Filmapparat befand sich noch draußen im Wagen zusammen mit der eingerollten Leinwand; erst nach der allgemeinen Information sollte die Vorführung stattfinden. Eine kleine Pause war sicherlich von Nutzen.
    Beljakow II warf einen schnellen Blick auf Großväterchen. Der Alte stützte sich auf die Lehne des Rollstuhls und klapperte mit dem Gebiß, aber sonst war er still.
    Niktin erklomm das Podium, packte seine Tasche aus und legte die Papiere auf das Rednerpult, räusperte sich und überblickte die schweigsame Versammlung. Auch die Kinderchen haben sie mitgebracht, stellte er fest, und eine Art Rührung überkam ihn. Warum schimpft man bloß über sie, verdammt sie, wünscht sie zur Hölle? Niemand kennt sie ja wirklich. Man muß ihr Herz gewinnen, das ist das ganze Geheimnis.
    »Meine lieben Genossinnen und Genossen«, sagte Niktin in einem Ton, als wolle er ein Märchen erzählen, »ihr seid alle gekommen voller Erwartung, was ich euch zu sagen habe. Zunächst bestelle ich euch herzliche Grüße von Pjotr Dimitrowitsch Bacharew, Mitglied der großen Planungskommission in Moskau und korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften der UdSSR …«
    Jetzt mußte normalerweise allgemeiner Beifall kommen, aber das tiefe Schweigen blieb. Etwas irritiert kratzte sich Niktin an der Nase, verzichtete darauf, seinerseits zu klatschen und legte sich das Manuskript seiner großen Ansprache zurecht. Von rückwärts, vom Tisch mit der grünen Decke her, spürte er die Blicke von Masuk, Rudenko, Goldanski und Korolew im Nacken.
    »Wir alle wissen«, begann Niktin und suchte eine lange Statistik heraus, »daß der geplante Bau des Sib-Aral-Kanals das größte Werk ist, das je von Menschenhand geschaffen wurde. Ein Wasserweg von Ob und Irtysch bis hinunter in die Wüsten und Steppen von Kasachstan und Usbekistan, zweitausendfünfhundertundfünfzig Kilometer lang, zweihundert Meter breit, fünfzehn Meter tief, mit großen, künstlichen Seen östlich des Syrdarja und südlich des Amudarja. Ein neuer Riesenfluß, dessen Wasser Millionen Quadratkilometer Neuland schafft …«
    Korolew faltete die Hände, als wolle er beten. Großväterchen vorne unter dem Rednerpult wurde sichtbar unruhig. Mit dem Kopf gab er Beljakow II einen Wink, aber der hob nur hilflos die Hände.
    »Bilder habe ich euch mitgebracht!« rief Niktin, sich selbst in Begeisterung versetzend. »Fotos, Karten, Zeichnungen … zwei herrliche Filme werden wir sehen, wie alles einmal sein wird …«
    Nun hielt es Großväterchen nicht mehr aus. Ein Atemholen Niktins nutzte er aus und sagte noch sehr friedlich, aber laut: »Drei Meter steht Hamburg unter Wasser!«
    Erstaunlich war noch das Gedächtnis des Alten, man muß es zugeben. Niktin faßte sich wieder verwirrt an die Nase.
    »Was ist mit Hamburg?« fragte er sehr unklug.
    »Drei Meter!« rief Großvater zu ihm hinauf. »Und Holland ist futsch!«
    »Nicht klar ausgedrückt habe ich mich«, sagte Niktin milde. Die dummen Bauern, man muß ihnen noch volkstümlicher kommen. »In Kasachstan und Usbekistan werden die Wüsten bewässert.

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