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Sieben

Sieben

Titel: Sieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Frost
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    »Der Durchgang! Schließt den Durchgang!« schrie Spivey plötzlich alarmiert. »Verbaut ihm den Weg! Der Thron! Der Thron!«
    Das reicht, dachte Doyle und griff nach der Zeichnung -eigenartigerweise spürte er, daß so etwas wie ein beharrliches Summen durch das Blatt pulsierte -, doch Spivey umklammerte es fest. Als Doyle es ihm aus der Hand zerren wollte, zerriß das Papier. Dies schien den Strom zu unterbrechen, denn Spiveys Griff entspannte sich, die Fetzen der Zeichnung fielen zu Boden. Spivey sackte in seinem Sessel zusammen. Langsam klärte sich sein Blick. Er zitterte am ganzen Körper, auf seiner Stirn waren Schweißperlen.
    »Was ist passiert?« fragte Spivey.
    »Sie wissen es nicht mehr?«
    Spivey schüttelte den Kopf. Doyle erzählte es ihm.
    »Irgend etwas ist aus dem Bild der Frau auf mich zugekommen«, erinnerte sich Spivey und warf einen Blick auf seine zitternden Hände. »Etwas, das dafür gesorgt hat, daß ich mich ziemlich schlecht fühle.«
    »Im Moment sehen Sie auch nicht besonders gut aus«, sagte Doyle. Zum ersten Mal, dachte er bei sich.
    »Ich bin völlig durcheinander. Gütiger Himmel. Gütiger Himmel. Können Sie mir irgend etwas geben? Meine Nerven sind in einem schrecklichen Zustand.«
    Doyle, der sich verantwortlich fühlte, Spivey in diesen kataleptischen Zustand versetzt zu haben, durchsuchte die medizinische Sammlung auf dem Tisch und braute rasch ein Mittel zusammen, das sein Unbehagen vertreiben würde. Sein Patient nahm die ihm empfohlene Dosierung unterwürfig entgegen.
    »Deswegen bleibe ich nämlich lieber zu Hause«, sagte Spivey sanft. Er bemühte sich, wieder zu Atem zu kommen und das Zittern zu unterdrücken, das ihn befallen hatte. »Man kann nie wissen, was einem auf der Straße begegnet. Sie ist wie ein wilder Fluß. Gefährliche Strömungen. Klippen und Strudel. Ich könnte nicht ohne Schutz in diesen Gewässern überleben. Ich fürchte, mein Verstand könnte die Belastung nicht ertragen.«
    Es war ihm anzusehen. Doyle empfand eine Woge des Mitgefühls für den Mann:
Er kann sich ebensowenig im Zaum halten wie eine Stimmgabel,
dachte er.
Jede Vibration aus der näheren Umgebung könnte etwas in ihm auslösen. Welch mißliche Lage. Wer würde an seiner Stelle nicht ebenfalls zu Hause bleiben?
    »Mein Vater wollte eigentlich, daß ich Arzt werde«, sagte Spivey mit vor Erschöpfung pfeifender Stimme. »Er war nämlich selbst Arzt. Chirurg. Das gleiche Leben hatte er auch für mich geplant. Als ich noch ein Junge war, hat er mich einmal mit ins Krankenhaus genommen. Als er mich dann mit auf diese Station nahm, habe ich ...«
    »Ist schon in Ordnung«, sagte Doyle.
    Spiveys Augen waren tränenfeucht. »Wie sollte ich ihm mein Entsetzen erklären? Ich entdeckte, daß ich die Krankheiten der Patienten schon erkannte, wenn ich sie nur anschaute. Ich sah, daß die Leute ... mit Geschwüren ... bedeckt waren ... die auf ihnen wuchsen ... Unkraut, das eine Landschaft auffraß ... Ich konnte sehen ... wie es sich Zentimeter für Zentimeter über sie hinweg ausbreitete ... Wie ihre Krankheiten sie ... bei lebendigem Leib auffraßen. Ich bin ohnmächtig geworden. Ich konnte ihm den Grund nicht nennen. Ich habe ihn angefleht, mich nie wieder an diesen Ort mitzunehmen. Was wäre gewesen, wenn diese Krankheiten auf mich übergesprungen wären? Da lag der Hase im Pfeffer. Was, wenn ich gezwungen gewesen wäre, mitanzusehen, wie diese Wucherungen vor meinen eigenen Augen eine Mahlzeit aus mir gemacht hätten? Ich wäre verrückt geworden. Eher hätte ich mich umgebracht.«
    »Ich verstehe, Spivey.«
    Das erinnert mich an Andrew Jackson, den Mystiker aus den Appalachen, dachte Doyle. Spivey hatte also wirklich eine Gabe; doch sie hatte sich für den armen Hund als zu viel erwiesen.
Die Beschwerden dieses hypochondrischen Menschen werde ich nie wieder auf die leichte Schulter nehmen.
Er formulierte eine sorgfältig ausgearbeitete Entschuldigung für sein unangemeldetes Eindringen und machte sich auf den Weg zur Tür.
    »Bitte, Doktor«, sagte Spivey, »darf ich Sie wohl bitten, das da wieder mitzunehmen?« Er deutete mit geschlossenen Augen auf das zerrissene Bild, das auf dem Boden lag. »Falls Sie nichts dagegen haben. Ich möchte es nicht in meinem Haus haben.«
    »Aber gewiß, Spivey. Es macht mir nicht die geringste Mühe.« Doyle sammelte die Fetzen auf und steckte sie in die Tasche. Als er ging, saß Spivey zusammengesunken und erschöpft auf dem Sofa; seine linke

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