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Sieben

Sieben

Titel: Sieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Frost
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widerstehen. Er flüsterte mir ein, daß er meine Aufnahmefähigkeit besser kannte als ich selbst. Daß er sie mir in seiner Klugheit irgendwann enthüllen und mich dabei anleiten würde, mein wahres Ich zu erkennen, von dem ich natürlich hoffte, es bestünde aus einer Partnerschaft mit ihm. Wir beide gegen den Rest der Welt. Hätte er mich damals, in seinem ersten Brief, darum gebeten, ich hätte mich ins nächste Bajonett gestürzt.«
    »Wie haben Sie ihm geantwortet?«
    »Der Brief endete mit Anweisungen, wie ich ihm, wenn ich wollte, sicher antworten konnte. Meine Eltern hatten die Schule strikt angewiesen, sämtliche an Alexander gerichtete Post abzufangen und ihnen zu schicken. Ich sollte den Brief an einen seiner Klassenkameraden adressieren. Seit seiner Ankunft im Internat diente ihm ein bedingungslos ergebenes Jungenkader, dessen Zahl von Jahr zu Jahr wuchs. Man würde den Brief diskret an ihn weiterleiten. Natürlich steigerte diese Geheimniskrämerei meine Begeisterung noch mehr: Ich beantwortete seinen Brief auf der Stelle und schüttete ihm mein Herz aus. Ich sehnte mich so sehr nach einem solchen Fürsprecher, daß es aus mir herausrann wie Wasser aus einer Quelle. Und so machte ich mich vollends zum Narren.«
    »Sie waren doch noch ein kleiner Junge«, sagte Doyle.
    Sparks zeigte keine solche Nachsicht mit sich. Seine Pupillen wurden zu winzigen Nadelspitzen, so wütend war er auf sich. Er leerte seinen Brandy und bestellte sofort einen neuen. »Ich habe keinem Menschen je etwas davon erzählt. Nicht ein Wort.« Doyle wußte, daß Jack keinen Trost aus dem falschen Mitgefühl annehmen würde, das er anzubieten hatte. Sparksʹ Getränk wurde aufgetragen. Bevor er fortfuhr, stärkte er sich.
    »Ich habe ihm meinen Brief geschickt. Er hatte ihn natürlich schon erwartet und längst Schritte eingeleitet, die einen Briefwechsel ermöglichten. Daß er mir nach Hause schrieb, war problematisch. Es war völlig unmöglich, Briefe direkt an mich zu richten. Mit einem ausschmückenden Bericht über elterliche Grausamkeit hatte er den Vetter eines seiner Jünger rekrutiert, einen stillen, zuverlässigen jungen Mann, der in einem Dorf in unserer Nähe wohnte. Er erhielt Alexanders Briefe unter der Signatur seines Vetters, die, als das Eis gebrochen war, regelmäßig zweimal pro Woche eintrafen. Er brachte sie mit dem Fahrrad zu unserem Landsitz, wo er sie in einer Keksdose deponierte, die ich neben einer uralten Eiche vergraben hatte, einem Orientierungspunkt unseres Besitzes, an dem ich mich öfter aufhielt, ohne vom Haupthaus gesehen zu werden.
    So begann also die Korrespondenz mit meinem Bruder. Sie war von Anfang an sehr umfangreich, inhaltlich umfassend und von akademischem Nachdruck. Alexanders Interesse an der Welt und seine Fähigkeit, in ihre geheimeren Funktionen vorzudringen, was sie für mich wiederum unerklärlich machte, war erstaunlich. Sein Wissen in den Fächern Geschichte, Philosophie, Kunst und Wissenschaft war üppig. Er konnte seine Lehrer auf einem Abhandlungsniveau in Anspruch nehmen, das weit über das hinausging, was die meisten auf der Universität gelernt hatten, und er tat es auf so charmante und bescheidene Weise, daß man in ihm allgemein mehr einen Kollegen als einen Schüler sah. Seine Schule hatte in besseren Zeiten Generationen von Parlamentsabgeordneten und eine Handvoll Premierminister hervorgebracht - man sieht, wie mühelos diese Denkweise Wurzeln schlägt; sie schwärmten, er sei genau der Schüler, den es in jeder Generation nur einmal gibt.
    Alexander hatte sich einen Glanz verliehen, der sowohl gesellschaftlich als auch in seinem typisch akademischen Umfeld über Gebühr schillerte. Er begriff, daß seine höchsten Ziele, die in diesem Stadium seines Lebens bereits sehr konkret waren, einen ungewöhnlich entwickelten Körper und einen ebensolchen Geist verlangten: Auftreten, Stimme, Kleidung. Das Ergebnis war, daß er nicht nur als Zwölfjähriger schon Zustimmung fand, sondern sich auch wie kein anderer seines Alters problemlos jeder Klasse oder gesellschaftlichen Umgebung anpassen konnte. Um die Kraft zu entwickeln, die er benötigte, um seine Ziele zu erreichen, unterzog er sich allein einem harten, brutalen Training in der Sporthalle, wo er Stunden verbrachte, wenn die anderen Jungen ihre Zeit mit Spielen oder bei der Familie totschlugen. Alexander behielt diese Disziplin so beharrlich bei, daß man ihn als Dreizehnjährigen nicht selten für einen Mann von zwanzig

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