Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
ehrlich zu sein.
»Aber die Tasche ist bereits wieder aufgetaucht.«
» Mi scusi ?«, fragte der verwirrte Polizeichef. »Sie wurde zurückgegeben?«
» Si .«
»Aber hier steht nicht, dass sie zurückgegeben wurde.« Er überflog das Dokument erneut. »Warum haben Sie das nicht schon gestern Abend gesagt?«
»Aber das habe ich ja«, entgegnete Daniela. »Ich habe Ihrem Kollegen erzählt, dass die Tasche am nächsten Morgen zurückgegeben wurde, aber er sagte, dann könne er das Formular nicht ausfüllen. Also haben wir so getan, als ob sie noch vermisst würde.«
Der Chef blinzelte mehrmals.
»Wann, sagten Sie, haben Sie gestern vorbeigeschaut?«
»Um sieben.«
» Porca la miseria «, fluchte er leise und lächelte mitfühlend, als ihm einfiel, wer da gerade Dienst gehabt hatte. »Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen, signori . Würden Sie mir netterweise die ganze Geschichte erzählen?«
Daniela kam seiner Aufforderung nach, und der Chef hörte aufmerksam zu. Dann las er die ganze Erklärung noch einmal laut und deutlich vor: »Während ich mit Freunden in einem Restaurant namens Pietralata unweit von Andrano …« Er sah zu uns auf. » Cristo «, sagte er lachend. »Hat Sie mein Kollege auch gefragt, was es zum Abendessen gab?«
Zu unserer und seiner großen Befriedigung knüllte der Chef die Anzeige zusammen und warf sie in den Mülleimer. Auf einem neuen Formular, das mit dem alten identisch war, tippte er eine kurze Erklärung, dass Tasche, Geldbeutel und Kreditkarten für die Dauer von zwölf Stunden aus unserem Besitz entwendet worden waren. Er bediente geschickt die Olivetti, griff aber wie sein Kollege nach einem kleinen Gegenstand, mit dem er Danielas heikle Adresse eintippte. Als er die überarbeitete Version gerade fertig hatte, ertönte die Klingel im Warteraum. Er tippte noch ein paar Buchstaben, bevor er sich entschuldigte und aufstand.
Der Mann, dem er die Tür öffnete, hatte einen wirren grauen Haarschopf, und seine Augen funkelten nur so vor Zorn. Er trug Shorts, Sandalen und ein Sommerhemd, das sich so sehr über seinem dicken Bauch spannte, dass die Knöpfe jeden Moment abzuplatzen drohten.
» Mi dica «, sagte der Polizeichef – »Erzählen Sie« -, aber er würde die Geschichte dieses Mannes zwangsläufig zu hören bekommen, ob er nun wollte oder nicht.
»Ich muss jemanden anzeigen«, sagte der Mann drohend und zog seine Augen zu schmalen Schlitzen zusammen.
»Wen? Was ist passiert? Stia calmo, signore .«
»Meinen Nachbarn. Ich muss meinen Nachbarn anzeigen.« Er sprach wie ein Roboter. »Neben meinem Haus ist ein Garten. Vor zwei Monaten hat mein Nachbar dort einen Hund angebunden, der Tag und Nacht bellt. Ich habe zwei Monate lang kein Auge mehr zugetan. Meine Familie hat zwei Monate lang kein Auge mehr zugetan. Sie müssen sofort mitkommen und etwas wegen meines Nachbarn unternehmen.«
Der Chef hob beide Hände.
»Beruhigen Sie sich, und hören Sie mir gut zu. Sie müssen mit Ihrem vigile reden. Ich kann mich da nicht einmischen.«
»Das habe ich ja«, sagte der Mann verzweifelt. »Mein Nachbar ist der vigile .« Der Polizeichef hob die Brauen und der wütende Mann seine Stimme. »Sie müssen mitkommen und irgendetwas unternehmen. Dem Hund kann ich keinen Vorwurf machen, mein Nachbar ist das Problem. Und wenn Sie nicht gleich mitkommen und etwas unternehmen,« – er ballte die Faust, um seine Drohung zu unterstreichen – »bring ich ihn noch heute um! Bestimmt! Ich meine es ernst. Ich werde ihn umbringen!«
Seine Warnung hallte in dem leeren Warteraum wider. Die Huskys beäugten ihn von einer kühleren Klimazone aus.
» Calmo! «, beharrte der Polizeichef.
»Nein. Damit wir uns richtig verstehen: Ich bringe ihn noch heute um!«
Zweifellos stieß er diese Drohungen bereits seit zwei Monaten aus. Doch erst jetzt fühlte er sich imstande, sie auch wirklich wahrzumachen. Das hatte ihm solche Angst eingejagt, dass er zur Polizei gegangen war. So melodramatisch das auch klang, aber auf seine Weise hatte er genau das Richtige getan und sich der Obrigkeit übergeben, bevor er das Verbrechen beging. Der commandante begriff, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als irgendwie zu intervenieren. Er schloss die Tür zum Revier mit seinem Fuß. »Setzen Sie sich«, sagte er zu dem verzweifelten Eindringling. »Ich kümmere mich gleich um Sie, sobald ich mit der signora fertig bin.«
Obwohl der gestrige Wahnsinn Italiens Witze über die carabinieri nur bestätigt hatte –
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