Silberband 101 - Eiswind der Zeit
lag nach Hamillers Schätzung wenigstens zweihundert Meter über dem Hallenboden.
Maschinen aller Formen, Größen und Funktionen – darunter einige, von denen Hamiller nicht einmal erkennen konnte, welchem Zweck sie dienten – waren in wahlloser Anordnung aufgebaut worden. Dazwischen standen oder lagen Roboter, die mit der Abschaltung des Germyr-Sektors zu funktionieren aufgehört hatten.
Payne Hamillers Blick war immer noch auf das erstarrte Chaos gerichtet, als neben ihm jemand sagte: »Lassen Sie den Eindruck auf sich wirken! Hier entsteht Großartiges!«
Der Wissenschaftler wandte sich zur Seite und erblickte einen hochgewachsenen, jungen Mann, dessen Miene von ungewöhnlichem Ernst geprägt war. Er schien aus dem Nichts entstanden zu sein.
»Sie sind Raphael, nicht wahr?«, erkundigte sich Payne Hamiller.
»Das ist richtig, ich bin Raphael«, antwortete der junge Mann. »Was wir miteinander zu besprechen haben, lässt sich in dieser Form am besten erledigen.«
Hamiller nahm sich Zeit, NATHANs Gesandten zu mustern. Raphael, der so real zu sein schien wie jeder junge Mann aus Fleisch und Blut, war in Wahrheit ein Gebilde aus Formenergie, ein menschlich gestaltetes Abbild der Hyperinpotronik und von ihr mit der Gabe logischen Denkens versehen. Raphael hatte mehrmals eine wichtige Rolle gespielt: als NATHANs Abgesandter in den Tagen vor dem Sturz der Erde in den Schlund, als geheimnisvoller Wächter der Energiestation Palatka und als Mittelsmann bei den Auseinandersetzungen zwischen der TERRA-PATROUILLE und den Konzepten unter Grukel Athosien, die NATHANs Dienste für den Bau des Kunstplaneten EDEN II beanspruchten. Danach hatte Raphael sich zurückgezogen. Er war mit seinem Erzeuger eins geworden, um, wie einmal gesagt wurde, nie wieder aufzutauchen.
Es zeigte sich an diesem Beispiel, dass auch die mächtige Hyperinpotronik keinen Einfluss auf die Launen des Schicksals hatte. Raphael war wiederauferstanden, weil es eine Situation gab, mit der NATHAN aus eigener Kraft nicht fertigwurde.
»Wir sind uns bisher nie begegnet«, sagte das Energiewesen.
Mit leisem Spott erwiderte Hamiller: »Ich hätte auch nie erwartet, dass es jemals zu einer Begegnung kommen würde.«
In ganz und gar menschlicher Manier zuckte Raphael mit den Schultern. »Man weiß eben nie, wie es kommt. Gehen wir? Ich will Ihnen zeigen, gegen was für ein Problem wir ankämpfen.«
»Einverstanden«, antwortete Hamiller.
Raphael schritt an der Wand der Halle entlang. Hamiller hielt sich an seiner Seite, Augustus folgte mit wenigen Metern Abstand.
»Was wird hier gebaut?«, wollte Hamiller wissen.
»Die BASIS!«, antwortete Raphael.
»Was ist die BASIS?«
»Das ist mir unbekannt.«
Hamiller unterdrückte seinen Ärger. »Wir haben hinlänglich Anlass zu glauben, dass die Bautätigkeiten auf einem aphilischen Programm beruhen. Ist das der Fall?«
»Die Grundzüge des Programms sind in der Tat aphilischen Ursprungs«, antwortete Raphael. »Das Programm selbst ist jedoch vielfach modifiziert worden, um es den Anforderungen der Stunde gerecht zu machen.«
»Das Programm läuft ohne Kommunikation mit dem bionischen Teil der Hyperinpotronik ab«, sagte Hamiller. »Bedeutet dies, dass die Basisprogrammierung geändert wurde? Dass NATHAN im Zusammenhang mit den Bautätigkeiten in Germyr als reine Positronik funktioniert?«
»Das bedeutet es auf gar keinen Fall!«, antwortete Raphael ungewöhnlich heftig. »Die Aphiliker hatten tatsächlich die Absicht, das Vorhaben auf rein positronischer Basis durchzuführen. Aber NATHAN hätte sich auf eine solche Sache niemals eingelassen. Er hätte nicht einmal eine Änderung der Basis-Programmierung geduldet. Bezüglich des Programms gibt es zwischen der Positronik und der Bionik ein Übereinkommen, wonach die Positronik das Bauprogramm ungestört verfolgen kann, die Bionik sich jedoch ein Einspruchsrecht vorbehält. Von diesem Recht hat die Bionik bislang keinen Gebrauch gemacht.«
Payne Hamiller atmete auf. Zwar hatte er keine Garantie dafür, dass Raphael sich ihm gegenüber aufrichtig verhielt. Aber er sah auch keinen Grund, warum NATHANs Abgesandter ihn hätte belügen sollen.
»Noch eine Frage«, sagte Hamiller. »Sie wissen nicht, was die BASIS ist. Ich akzeptiere das, so schwer es mir fällt. Wissen Sie wenigstens, welches Ziel das ursprüngliche Programm der Aphiliker hatte?«
»Das ist bekannt. Unmittelbar vor der Großen Katastrophe packte die Kinder der Reinen Vernunft die Furcht.
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