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Silbermantel

Titel: Silbermantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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sein.
    Ivor führte sie, indem er sie links und rechts neben sich gehen ließ, wie es sich für Männer geziemte, in jenen Teil des Lagers, der Gereint vorbehalten war. Er begleitete sie ins Haus und sah zu, als sie vor dem Schamanen niederknieten, damit dieser ihre Tiere anerkenne und segne. Nie hatte sich eines von Ivors Kindern, was die Fastenzeit betraf, verstellt und ein Totem für sich beansprucht, wenn es keines gab, oder sich eingebildet, ein Eltor sei ein Adler gewesen oder ein Keiler. Dennoch war es Aufgabe des Schamanen, in ihrem Innern die Wahrheit über ihre nächtliche Wache herauszufinden, damit Gereint die Totems eines jeden Reiters des Stammes kannte. Das war bei allen Stämmen so. So stand es in Celidon geschrieben. So lautete das Gesetz.
    Nach einer Weile hob Gereint, der mit gekreuzten Beinen auf seiner Matte saß, den Kopf. Ohne Zögern wandte er sich dorthin, wo Ivor stand und im Licht, das von draußen hereinfiel, als Silhouette zu erkennen war.
    »Ihre Stunde weiß ihren Namen«, verkündete der Schamane.
    Es war vollbracht. Die Worte, die einen Reiter kennzeichneten, waren gesprochen: Die Stunde, der sich niemand entziehen konnte, und die Heiligkeit des geheimen Namens der Reiter. Plötzlich überkam Ivor ein Gefühl für den Strom, für die ungeheure Weite der Zeit. Zwölfhundert Jahre lang waren die Dalrei über die Ebene geritten. Zwölfhundert Jahre lang war jeder neue Reiter so angekündigt worden.
    »Sollen wir feiern?« fragte er Gereint formell.
    »Das sollten wir in der Tat«, lautete die gelassene Antwort. »Wir sollten das Fest der Neuen Jäger begehen.«
    »So soll es sein«, bekräftigte Ivor. So oft hatten er und Gereint derart verfahren, Sommer um Sommer. Wurde er etwa alt?
    Er nahm sich der beiden jüngsten Reiter an und führte sie hinaus ins Licht der Sonne, dorthin, wo der gesamte Stamm sich vor der Tür zum Hause des Schamanen versammelt hatte.
    »Ihre Stunde weiß ihn«, rief er und lächelte, als er den Jubel hörte, der sich nun erhob.
    Endlich führte er Navon und Barth wieder ihren Familien zu. »Schlaft«, riet er den beiden, denn er wusste, wie das Morgen aussehen würde, auch wenn ihm klar war, dass sie seinem Rat nicht folgen würden. Wer schlief schon an diesem Tag?
    Levon hatte geschlafen, erinnerte er sich; aber er hatte drei Nächte im Hain verbracht und war erst in der letzten daraus hervorgekommen, hohlwangig und entrückt. Eine schwierige, langwierige Fastenzeit war das gewesen, wie es sich für einen geziemte, der eines Tages den Stamm regieren sollte.
    Während er hierüber nachdachte, sah er zu, wie die Menschen auseinanderströmten, dann duckte er sich und betrat noch einmal das abgedunkelte Haus Gereints. Hier gab es niemals Licht, wo immer sie auch lagerten.
    Der Schamane hatte sich nicht von der Stelle gerührt. »Es ist gut«, sagte Ivor und hockte sich neben den Alten auf den Boden.
    Gereint nickte. »Es ist gut, denke ich. Eigentlich müssten sie sich beide bewähren, und Barth könnte gar Besonderes leisten.« Deutlichere Hinweise auf das, was er in den Neuen gesehen hatte, gab er seinem Häuptling nie. Und immer bewunderte Ivor diese Gabe des Schamanen, seine Macht.
    Er erinnerte sich immer noch an die Nacht, als sie Gereint das Augenlicht genommen hatten. Ein Kind war Ivor damals gewesen, vier Sommer vor seinem Falken, aber als Banors einzigen Sohn hatten ihn die Männer mit nach draußen genommen, damit er dabei zusehen konnte. Lebenslängliche Macht für ihn sollte symbolisiert werden durch tieftönende Gesänge und Fackeln, die auf der nächtlichen Ebene unter den hochsommerlichen Sternen hin und her geschwenkt wurden.
    Eine Weile saßen die zwei Männer schweigend beieinander, ein jeder in seine eigenen Gedanken verstrickt, dann erhob sich Ivor. »Ich muss mit Levon über die morgige Jagd sprechen«, sagte er. »Sechzehn, denke ich.«
    »Mindestens«, erwiderte der Schamane in gekränktem Tonfall. »Ich könnte allein einen ganzen verspeisen. Wir haben lange nicht gefeiert, Ivor.«
    Ivor schnaubte. »Sehr lange, du gieriger alter Mann. Zwölf ganze Tage, seit Walen seinen Namen erhalten hat. Warum bist du eigentlich nicht dick?«
    »Weil es«, erläuterte der weiseste aller Männer geduldig, »bei den Festlichkeiten nie genug zu essen gibt.«
    »Dann also siebzehn!« lachte Ivor. »Wir treffen uns morgen früh, ehe sie davonziehen. Levon hat das zu entscheiden, aber ich werde vorschlagen, gen Osten.«
    »Gen Osten«, stimmte Gereint

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