Silbernes Band (German Edition)
Glaubt ihr, so etwas könnte hier auch passieren?“, warf Berglind besorgt ein. „Ach was, hier ist doch zu viel Betrieb! Ein wildernder Hund würde sofort auffallen“, wischte Björn ihre Befürchtungen mit einer entschiedenen Handbewegung vom Tisch. Rúna war ebenfalls dieser Meinung. Hnota war wohl sicher vor diesem Monster.
Das Monster von Borgarnes
„Fionn!“ Heiðar knurrte unwillig, als er Montagmorgen erwachte. Flink sprang er aus dem Bett, duschte eiskalt und zog sich rasch an. Wie jeden Morgen holte er die Zeitungen und machte Kaffee. Auf dem Küchentisch fand er eine Nachricht:
„Ich muss dich sprechen. Hotel Borg , heute Abend.“ Heiðar blies genervt die Backen auf. Es war noch zu früh, um zu entscheiden, ob er hin ging oder nicht. Er nahm erst mal einen Schluck Kaffee und schlug das Nachrichtenblatt auf.
Welche Bestie hat dieses Pferd getötet?
Mysteriöser Kadaverfund in Borgarnes.
Bauer Baldur Sveinsson (64) machte am Samstagmorgen einen grausigen Fund, als er sich zu einer abgelegenen Weide begab, um seine Jungpferde-Herde zu kontrollieren. Eines der zwölf Tiere, ein zweijähriger Fuchswallach (Foto), lag mit aufgerissener Kehle im Gras. Das Pferd wurde vermutlich von einem wildernden Hund gejagt, der sich in seinen Hals verbiss. Dabei muss der Wallach unglücklich gestürzt sein und hat sich das Genick gebrochen. Besonders mysteriös erscheint, dass der Kadaver nicht angefressen wurde. Ob es sich tatsächlich um einen Hund handelt, könnte eine gründliche Untersuchung des toten Pferdes beweisen, doch Baldur Sveinsson möchte sich zum Ärger nicht auch noch zusätzliche Kosten aufladen und verzichtet deshalb darauf. „Sobald ihr hier weg seid, verbrenn’ ich das Pferd, damit ich es nicht mehr ansehen muss“, teilte er dem Nachrichtenblatt mit. Da Baldur befürchtet, dass das „Monster von Borgarnes“ weiterhin sein Unwesen treibt, hat er vorsorglich die übrigen Tiere zum Haus geholt. „Passt auf eure Herden auf, damit euch nicht dasselbe passiert“, mahnt er sämtliche Bauern Islands.
Heiðar schluckte. Verdammt, er musste in Zukunft vorsichtiger sein! Beim Anblick des toten Pferds überkamen ihn Schuldgefühle und Mitleid. Nicht zum ersten Mal verfluchte er das Erbe seines Vaters.
Die halbvolle Tasse liess er auf dem Tisch zurück, zog sich Schuhe und Jacke an und fuhr zur Schule. Er war wie immer spät dran, als er das Gebäude kurz vorm zweiten Klingeln betrat. Zu den Lehrern, die bereits eine Viertelstunde vor Unterrichtsbeginn im Klassenzimmer sassen, gehörte er jedenfalls nicht. Im Treppenhaus und auf den Fluren huschten noch etliche Schüler herum, die ebenfalls knapp in der Zeit waren. Heiðar bahnte sich souverän seinen Weg in die dritte Etage. Das ganze Haus summte von dem Gewirr vieler hundert Stimmen. Normalerweise achtete er nicht darauf. Im Laufe der Jahre war er ziemlich gut darin geworden, die riesige Klangwolke, die ihn ständig umgab, zu ignorieren. Heute gelang ihm das nur teilweise. Wie von selbst drangen einzelne Gesprächsfetzen an sein sensibles Ohr: „Hast du das Foto gesehen?“- „Da ist alles voller Blut.“ – „Mir wurde glatt schlecht.“ – „Absolut eklig! Ich esse nie mehr Pferdefleisch!“ – „Monster von Borgarnes.“ – „Glaubst du, das war bloss ein Hund?“ – „Sehr unwahrscheinlich. Wie sollte ein Köter einem Pferd das Genick brechen?“ – „Die Bestie hat zwölf Pferde gekillt!“
Vergeblich versuchte er das Gehörte abzuschütteln. In exakt 45 Sekunden klingelte es. Er hatte das dritte Stockwerk erreicht, brauchte bloss noch bis zur hintersten Tür auf der linken Seite zu gelangen. „Das war bestimmt ein Blutsauger!“ Heiðar zuckte zusammen. „Quatsch! Ein Vampir hätte das Pferd komplett ausgesaugt! Sieh nur, das viele Blut im Gras.“
Er legte konsterniert die Stirn in Falten. Soviel Blut schaffte bestimmt auch kein richtiger Unsterblicher. Abgesehen davon machte es keinen Spass, von einem toten Körper zu trinken. Das Herz stoppte aber in jedem Fall, bevor das Blut alle war. Wollte ein Unsterblicher sein Opfer bis auf den letzten Tropfen aussaugen, müsste er entweder mit ganzer Kraft saugen, was die Blutgefässe zum Platzen brachte, oder aber die Schwerkraft in Anspruch nehmen und den Körper kopfüber halten. Nicht gerade unauffällig. Heiðar hörte immer auf zu trinken, sobald sein Durst gestillt war, oder wenn der Tod eintrat.
„Leute! Es gibt gar keine
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