Silver Moon
mit dem Rücken an ihn, um seine nackte Haut zu schützen, und fühlte mich hilflos. »Nein, Vater, das darfst du nicht tun! So denke bitte nach, bevor du handelst!«, wagte ich zu sagen. Es war die blanke Angst, die aus mir sprach.
»Du willst wohl auch ein paar Schnitzer abbekommen? Kannst du gerne haben, dann zieh dich aus! Raus aus deinen Lumpen und zeig mal, was du hast!«, keifte mich Vater an. Mir blieb vor Entsetzen der Mund offen stehen. Ich spürte Kais Hände, die meine Arme gepackt hatten und mich zur Seite drängten. »Geh!«, flüsterte er entschieden in mein Ohr. Aber ich wollte nicht gehen, konnte nicht gehen – konnte Kai nicht alleine lassen. Ich schüttelte wie betäubt den Kopf und stammelte fortwährend: »Nein, nein … nein!«
»Irgendeiner wird mein Messer heute zu spüren bekommen, ENTSCHEIDET EUCH!« Unterdessen focht ich einen kleinen Kampf mit Kai aus. Ich stand wie ein Panzer vor ihm, während er versuchte, mich wegzudrücken. Vater begann mit dem Messer herumzuwedeln. »Dann halt alle beide!«, schrie er, hob den Dolch und stieß zu. Er schnitt mir in den Oberarm. Die Klinge fuhr so leicht durch meine helle Haut wie ein heißes Messer durch Butter. Ich war benommen und beobachtete das Blut, das wie ein Strom aus meiner Haut floss, meinen blanken Arm herablief und auf den Boden tropfte. In diesem Moment versetzte mir Kai einen derben Stoß und ich fiel zur Seite. Ich schaute nach oben und bemerkte das Messer, die scharfe Klinge, die Vater wieder hoch hielt, und diesmal stand Kai ungeschützt und halb nackt vor ihm. Alles geschah wie in Zeitlupe: Ich sah die Klinge immer tiefer sinken … Sie würde Kais Brust treffen! Ich stand blitzartig auf und wollte erneut vor ihn springen, um das Messer abzufangen, als Mias helle Stimme ertönte:
»Ein Wolf, ein Wolf!«, rief sie laut und zeigte auf unser kleines Küchenfenster, das offenstand.
Auf der Fensterbank lehnten die starken Pranken eines grauen Wolfes und seine leuchtenden braunen Augen sahen zu uns herein. Verweint blickte ich ihn an … meinen Prinz, der uns vermutlich in diesem Moment viel Leid erspart hatte, denn Vater vergaß Kai und er vergaß mich. Stattdessen stürmte er wuterzürnt ans Fenster.
»SAKIMA, LAUF! RENN; bitte renn weg! GEH, LAUF NACH HAUSE, SCHNELL!«, schrie ich aus voller Lunge und flehte, dass er meiner Aufforderung folgen würde. Ich hatte so unglaubliche Angst um ihn. Vater nahm das Messer und warf es nach draußen, hinter dem Wolf her, der aber schon lange über unseren Zaun gesprungen und in Richtung Wald unterwegs war. Vater fluchte und eilte zum Telefon. Ich wusste, wen er anrufen würde: Brock!
»Hol dein Gewehr, dieses Wolfsvieh lebt noch! Knallen wir die Töle ab! Ja, er war bei uns … Er ist gerade in den Wald gerannt, dieses Mistvieh. Diese Nacht überlebt er nicht«, hörte ich Vater sagen und mir wurde schlecht. Ganz gleich, was mir Vater auch antun würde, mir war alles egal, wenn es um Sakima ging. Ich rannte reflexartig ins Wohnzimmer, um mich kämpferisch gegen den Waffenschrank zu lehnen.
»Weg da mit dir, du dumme Pute«, beschimpfte mich Vater, der sein Gewehr holen wollte. Er fasste mich grob an den blutenden Arm und versuchte mich wegzuziehen, doch ich blieb standhaft.
»Vater, so nimm Vernunft an! Der Wolf ist längst über alle Berge. Es ist schon spät, bald wird es dunkel. Ihr könnt im Wald nichts erkennen, lasst ihn gehen!«
Meine Worte stießen bei Vater auf taube Ohren.
»Hast du das Monster gesehen? Wie nah es kam? Ich sage, das Vieh hat die Tollwut und gehört gelyncht!«
»Er hat keine Tollwut, er ist ein guter Hund!«, erklang die zaghafte und hohe Stimme von Mia. Mein Magen verkrampfte sich. Wie konnte sie so etwas nur sagen? Wenn Vater Verdacht schöpfen würde … Meine Panik war allerdings grundlos. Vater war viel zu betrunken, um das Offensichtliche, das Mia fast verraten hätte, zu erkennen. »Was weißt du Rotznase schon? Kannst noch nicht mal einen gewöhnlichen Köter von einem Wolf unterscheiden!«, sagte er zu Mia, bevor er sich wieder zu mir drehte.
»JETZT GEH MIR AUS DEM WEG!« Er gab mir einen gewaltigen Stoß, der mich zur Seite kippen ließ, dennoch stellte ich mich wieder wie ein Betonpfosten vor den Schrank. So ein Verhalten war Vater nicht von mir gewohnt. Er holte aus und ich bekam eine Ohrfeige wie nie zuvor. Es war, als würde mein Kopf abgerissen.
Ich fühlte mein Ohr anschwellen, mir wurde schwarz vor Augen, dann sah ich glitzernde Sternchen
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