Siras Toten-Zauber
einfach aufgelöst.
Er schaute zurück.
Auch ihr Geist stand nicht mehr dort. Nur die Lampen verbreiteten ihr gedämpftes Licht.
An der Kunst sich zu beherrschen, fehlte es dem Inspektor beileibe nicht. Das hatte er oft genug bewiesen. In diesen Augenblicken aber, da merkte er schon die Ströme der Spannung, die durch seinen Körper schössen.
Wenn die Palmenblätter mit ihrer Voraussage recht hatten und Sira ebenfalls, dann war der heutige Tag auch gleichzeitig sein Sterbetag. Dann würden ihn ihre Helfer umbringen.
Diese Spannung und dieser immense Druck waren auch für Suko kaum zu ertragen.
Jetzt dehnte sich die Zeit. Obwohl er eine Antwort herbeisehnte, fürchtete er sich gleichzeitig davor und wäre, wenn er ehrlich gegenüber sich selbst war, nicht einmal traurig gewesen, wenn seine Blätter nicht vorhanden waren.
Sira kehrte zurück. Er hörte sie nicht, er sah nur, wie ihre Gestalt durch den Lichtschein glitt. Sie hatte die Maske in die Falten ihres Kleides gesteckt, die dort so wie eine schmale Tasche gearbeitet worden waren. Jetzt kam es darauf an!
Suko ließ die Person nicht aus den Augen. Er wollte das Ergebnis schon an ihrem Gesicht ablesen, was ihm nicht gelang. Es blieb nach wie vor glatt, wie aus Porzellan gegossen.
Er schaute trotzdem für einen Moment zurück und sah den Geistkörper der Frau nicht.
Suko sah ihr Nicken. Eine kurze Andeutung, mehr nicht. Dann zeigte sie ihre Hände. Sie drehte sie so herum, damit Suko auf die Flächen schauen konnte.
Sie waren leer!
Hatte sie ihn geleimt? »Was ist? Sind meine…«
»Nicht so eilig, Suko, nicht so eilig. Ich habe alles, was ich brauche.« Bei dieser Antwort bewegte sie den rechten Arm und knickte die Hand so ab, daß sie in die Faltentasche des Umhangs hineingleiten konnte. Sie bewegte ihre Finger, machte sie geschmeidig, und dann sah Suko das Palmenblatt, das zwischen Zeige-und Mittelfinger klemmte. Suko stockte der Atem. Es war ein schmales Blatt, ähnlich geformt wie eine Feder, die nach oben hin spitz zulief. Er versuchte, die Farbe des Blattes zu erkennen. Sie schwankte zwischen einem Braun und einem dunklen Grün und erinnerte ihn an ein Stück sehr dünn geschälter Rinde. Sira drehte es so, daß Suko auf die Vorderseite schauen konnte. Sie war dunkel. Aus seiner Sehdistanz schimmerte sie wie eingefärbt, doch Suko ging davon aus, daß die einzelnen Zeichen so dicht zusammengeschrieben worden waren, um ineinander übergehen zu können. Wenn er etwas lesen wollte, mußte er das Blatt schon dicht vor seine Augen halten.
»Das ist es!« sagte sie, und diesmal drang ihre Stimme nur von vorn durch die Scheibe, an die Suko wie unter einem inneren Zwang herantrat, um etwas lesen zu können.
»Sorry, aber ich…«
»Warte, ich werde es dir zeigen.« Mit einem sphinxhaften Lächeln auf den Uppen kam sie näherund blieb so nahe vor der Scheibe stehen, daß Suko bereits die hellen, winzigen Abschnitte zwischen den Schriftzeichen sehen konnte. Die Scheibe verzerrte. Auch wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, Suko hätte die Schriftzeichen zwar erkennen, aber nicht verstehen können. Sie waren in einer ihm unbekannten Sprache geschrieben. Deshalb hob er auch die Schultern.
Sira nickte. »So ergeht es den meisten. Sie sehen ihr Palmblatt und können es nicht lesen. Deshalb waren auch die Weisen und die Mönche da, damit die alten Schriften entziffert werden können.«
»Du kannst es?«
Sie ging wieder einen Schritt zurück. »Ja, ich kann die Schrift lesen. Vergiß nicht, wer ich bin. Vor dir steht keine normale Inderin oder Frau, sondern eine mächtige Göttin aus alter Zeil, die Begleiterin des Totengottes Jama.«
Das wußte Suko schon, er brauchte es nicht noch einmal zu hören, er wollte wissen, was auf dem Blatt stand.
»Es ist das erste«, erklärte ihm Sira.
»Das hatte ich mir gedacht. Ich werde also Einzelheiten über meine Vergangenheit erfahren.«
»Ja, und du wirst mir bestätigen, ob sie stimmen oder einfach nur hingeschrieben worden sind.«
»Fang an!«
Der Inspektor hatte die Hände zu Fäusten geballt. Seine innere Erregung steigerte sich. Sie hatte auch die Schweißdrüsen aktiviert, und die Schicht lag überall auf seinem Körper, sogar die Handflächen hielt sie bedeckt.
Sira las noch nicht laut. So wie es aussah, schien sie das Blatt mit seinen Zeichen erst zu überfliegen, nickte und gab einen allgemeinen Kommentar ab.
»Ein Schicksal steht hier geschrieben, wie es nicht jedem zuteil wird. Das muß ich dir
Weitere Kostenlose Bücher