SISSI - Die Vampirjägerin
entgegenschoss wie ein Stein aus einer Schleuder. Sie wollte das Katana auf ihn richten, aber selbst dazu war sie zu langsam.
Ein Knall.
Edgar prallte, blind, wie er war, gegen den Türrahmen. Holz und Knochen splitterten, der Boden unter Sissis Füßen bebte. Der Schwung warf Edgar zurück, quer durch das Zimmer in den Sessel, in dem er gesessen hatte.
Sissi setzte nach. Mit drei Schritten war sie bei Pierre, setzte ihm das Katana an die Kehle.
Er erstarrte.
»Das ist ein Schwert«, sagte sie.
»Ich weiß, was das ist.« Pierre fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Schatz, geht es dir gut?«
Edgar stöhnte. Schwarzes Blut lief ihm aus Nase und Mund. Franz-Josef schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht, fester als nötig.
»Bleib wach und sag, was du weißt, sonst schwöre ich dir, dass du Pierre nie wiedersehen wirst.«
Edgar schüttelte sich. Sein Blut spritzte bis an die Wand und benetzte Franz-Josefs Gesicht.
»Du weißt doch genau, wer mir das befohlen hat«, sagte er undeutlich.
»Seine Eminenz?«
»Ja.«
»Und was bezweckt er damit?«
»Das würde ich auch gern wissen«, murmelte Pierre. Er richtete seine leeren Augenhöhlen dorthin, wo er Sissi vermutete. »Davon habe ich nichts gewusst.«
Sie glaubte ihm.
»Er hat sich mir nicht erklärt«, erwiderte Edgar steif.
Sie glaubte auch ihm.
Franz-Josef packte ihn an den Aufschlägen seiner Jacke und riss ihn vom Sessel hoch. »Willst du, dass Pierre lebt oder stirbt?«
»Verdammt noch mal, ich weiß es nicht!«, schrie Edgar. »Er sagte, tu es, und ich habe es getan. Das ist alles.«
Franz-Josef ließ ihn los. Er warf Sissi einen kurzen Blick zu. Sie schüttelte den Kopf und nahm die Schwertspitze von Pierres Hals. Er weiß es nicht.
Ohne ein weiteres Wort verließen sie das Zimmer. Als sie auf dem Gang waren, hörten sie Pierre sagen: »Du hast wirklich mit Seiner Eminenz gesprochen?«
»Ja.«
»Warum hast du mir nichts? Ich hätte ihn auch gern kennengelernt?«
»Du hast schon geschlafen?«
»Dann hättest du mich wecken sollen. Das …«
Der Rest der Unterhaltung verstummte, als Franz-Josef die Tür zu ihrem Trakt schloss.
Sissi lehnte sich gegen die Wand. »Wir müssen nach Versailles«, sagte sie.
Franz-Josef fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Sie konnte sehen, dass ihm der Gedanke nicht behagte.
»Wieso ist Seine Eminenz nicht zu Sophie gegangen?«, fragte er anstelle einer Antwort. »Frankreich hin oder her, sie hätte getan, was er verlangte, das haben wir ja heute Nacht gesehen.«
»Weil er nicht wollte, dass sie davon erfährt?« Sissi schob das Katana zurück in die Schwertscheide. »Oder weil er wusste, dass sie nicht einfach gehorchen würde wie Edgar?«
Franz-Josef seufzte. »Du hast recht. Wir müssen nach Versailles. Wenn Seine Eminenz Sophie hintergeht, dann hintergeht er uns alle.«
Er sagte uns, als wäre Sissi ebenfalls ein Vampir. Es schien ihm nicht einmal aufzufallen.
Sie zögerte, sagte dann aber doch, was sie dachte. »Wenn das, was Seine Eminenz plant, schlecht für Sophie, aber gut für die Menschen ist, dann werde ich nichts gegen ihn unternehmen.«
Er sah sie an und nickte. »Lass uns aufbrechen.«
KAPITEL EINUNDDREISSIG
Wenn die Kinder Echnatons von den europäischen Vampirdynastien der Vergangenheit sprechen, überrascht es Neulinge immer wieder, dass die ägyptischen Pharaonen in diese Reihe aufgenommen werden. Das liegt nicht etwa daran, dass die Kinder Echnatons über mangelnde Geografiekenntnisse verfügen, wie gelegentlich behauptet wird, sondern an der Prägung der ägyptischen Dynastie, die unverkennbar europäisch ist und wahrscheinlich im direkten Austausch mit den nördlicheren Dynastien entstand. Um diesen Aspekt deutlich zu machen, fasst man sie unter einem Oberbegriff zusammen, während die asiatischen Vampirkreaturen (über die wir, wie bereits an anderer Stelle erwähnt, sehr wenig wissen) separat zu behandeln sind.
– Die geheime Geschichte der Welt von MJB
Wann immer es ging, fuhren sie mit dem Zug.
Franz-Josef war noch nie zuvor auf den Schienen unterwegs gewesen. Er war sich nicht sicher, ob ihn die ratternden Geräusche und der Gestank verbrannter Kohle beeindruckten oder verstörten. Sissi hingegen genoss die Fahrten sichtlich, auch wenn sie in abgedunkelten Abteilen reisen mussten und sie nichts von der Landschaft, die rasch an ihnen vorbeizog, sehen konnte.
»Ist das nicht ein Meisterwerk der Technik?«, sagte sie kurz vor München. »Stell dir doch nur
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