SLEEP - Ich weiss, was du letzte Nacht getraeumt hast
vor Janies Augen zu knistern. Stückweise fällt die Sporthalle auseinander wie die Teile eines gesprungenen Spiegels. In den Löchern tauchen grelle Lichter auf. Janie sieht es und ihr Herz beginnt heftig zu schlagen. Sie wirft einen panischen Blick auf Miss Stubin und ihren Vater. Sie will unbedingt wissen, ob er verstanden hat, aber er hält sich wieder den Kopf.
»Ich kann hier nicht bleiben«, ruft Janie, nimmt all ihre Kraft zusammen und befreit sich aus dem Albtraum, bevor sie das Rauschen und die grellen Farben erneut überwältigen.
02:20 Uhr
Alles ist still bis auf das Klingeln in Janies Ohren.
Die Minuten vergehen, während Janie auf den kalten Fliesen des Krankenzimmers liegt, erstarrt, blind. Ihr Kopf tut weh. Als sie sich zu bewegen versucht, wollen ihre Muskeln nicht gehorchen.
02:36 Uhr
Endlich kann Janie wieder sehen, obwohl alles verschwommen ist. Sie stöhnt und kommt nach ein paar Versuchen auf die Beine, stützt sich an der Wand ab und wischt sich über den Mund. Auf ihrer Hand sind Spuren von Blut. Langsam tastet sie mit der Zunge, bis sie die Wunde in ihrem Mund bemerkt, wo sie sich während des Albtraums offenbar gebissen hat. Vorsichtig betastet sie ihren Hals und ihren Nacken. Als sie blutigen Speichel schluckt, rebelliert ihr Magen. Sie blinzelt ihre Uhr an und stellt erschrocken fest, wie viel Zeit vergangen ist.
Sie wendet sich Henry zu. Mit den Fingern fährt sie sich durch das zerzauste Haar und betrachtet sein gequältes Gesicht, das den gleichen grässlichen Ausdruck trägt wie in seinem Traum, als er immer wieder geschrieen hatte.
»Was ist los mit dir?«, fragt sie. Ihre Stimme klingt wie das Rauschen im Albtraum.
Sie beißt sich auf die Unterlippe. Immer noch betrachtet sie das Ganze wie aus der Ferne und muss an Henry, den Verrückten denken. Er ist bewusstlos. Er kann dir nichts tun.
Sie kann es nicht glauben, daher sagt sie es laut, sich selbst und auch ihm: »Du kannst mir nichts tun.«
Es hilft ein wenig.
Sie tritt näher.
Neben sein Bett.
Ihre Finger bleiben über seiner Hand in der Luft hängen, und sie stellt sich vor, wie er aufspringt und sie mit diesem eiskalten Todesgriff packt. Ihr die Kehle zudrückt. Sie erwürgt. Dennoch senkt sie ganz langsam ihre Hand und legt sie auf seine.
Er rührt sich nicht.
Seine Hände sind warm und rau.
Wie die Hände eines Vaters sein sollten.
02:43 Uhr
Es ist zu spät für den Bus.
Als sie wieder dazu in der Lage ist, irrt Janie durch das Krankenhaus und gelangt auf die Straße. Mitten in der Nacht humpelt sie langsam nach Hause.
Montag
7. August 2006, 10:35 Uhr
Ein Traumfänger. Ihr Vater. Genau wie sie.
Unglaublich.
Janie zieht ihre Laufkleidung an und geht zur Bushaltestelle. Sie fährt bis zur letzten Station am Stadtrand. Den Rest des Weges joggt sie.
Auf dem Land ist alles so viel langsamer als in der Stadt. Janies Füße hämmern beim Laufen auf den Asphalt, und vor ihren Augen kommt die Welt scheinbar zum Stillstand. Auf den Feldern will der reife Mais geerntet werden – Janie kann die weichen braunen Faserbündel in den einzelnen Reihen als verwischte Flecken an sich vorbeihuschen sehen.
Der Schweiß lässt ihr die Brille von der Nase rutschen, und wieder einmal erinnert sie sich daran, dass sie sich alles ansehen sollte, solange sie noch kann. Es macht sie fast krank, daran zu denken, dass sie all das verlieren soll, also nimmt sie alles in sich auf, jeden einzelnen Schritt, bis ihre Gedanken wieder abschweifen.
Sie hört das Surren der Laubfrösche und muss daran denken, dass sie, als sie klein war, geglaubt hatte, das laute Summen käme nicht von Tieren, sondern von elektrischen Leitungen, in denen der Strom summt. Als sie erfuhr, dass das Geräusch von Fröschen stammt, hat sie es nicht geglaubt.
Sie glaubt es immer noch nicht.
Schließlich hat sie noch nie so einen Frosch gesehen.
Während sie die stickige, feuchte Luft einatmet, gewöhnt sie sich an den schwachen Geruch von Kuhmist. Daneben gibt es den süßlichen Duft von Wildblumen und den leicht beißenden Geruch des erst kürzlich erneuerten Straßenbelags.
Janies Kopf ist klar und sie weiß genau, was sie will, als sie die lange, überwucherte Einfahrt zu Henrys Haus entlangläuft. Sie wird langsamer, um sich ein wenig abzukühlen.
Gerade als sie die Lichtung erreicht, vibriert das Handy in ihrer Tasche. Sie ignoriert es, wahrscheinlich ist es Carl. Doch sie muss nachdenken. Das hier muss sie allein machen. Sie öffnet die Tür und
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