Small World (German Edition)
vergessen?«
Plötzlich überkam Konrad eine große Ruhe. Er schaute Thomas in die Augen. »Leck mich.«
Thomas Koch versetzte ihm eine schallende Ohrfeige.
Konrad Lang schlug zurück.
Dann ging er auf die Dachterrasse und wartete. Er sah, wie Koch unten aus der Haustür kam. Er hatte ein Taschentuch in der Hand und schneuzte sich.
»Tomi!« rief Konrad.
Thomas blieb stehen und sah hinauf. Konrad hob hilflos die Schultern. Thomas wartete. Konrad schüttelte den Kopf. Thomas wandte sich ab und ging.
Konrad spürte Rosemaries Hand auf seiner Schulter. Er lächelte sie an und legte den Arm um sie. »Ein trauriger Abschied.«
»Ist es nicht auch eine Befreiung?«
Er überlegte. »Wenn der Lebenslängliche das Gefängnis verläßt, ist auch das ein Abschied.«
Den ganzen Tag war Konrad Lang stiller als sonst. Am Abend pickte er ohne Appetit in der kalten Platte, die Rosemarie auftischte. Danach legte er Chopin auf und versuchte zu lesen. Aber es gelang ihm nicht, seine Gedanken beisammenzuhalten. Immer wieder wanderten sie zu Thomas Koch und der häßlichen Szene, die ihrer wechselhaften, einseitigen Freundschaft ein Ende bereitet hatte. Gegen zehn Uhr küßte ihn Rosemarie auf die Stirn und überließ ihn seiner Grübelei. »Ich komme auch gleich«, sagte er.
Aber er wanderte unruhig durch die Wohnung, ging auf die Terrasse und schaute auf den glatten See hinab und hinauf zum dünnen Mond über der stillen Stadt. Ein paarmal war er nahe daran, sich ein Glas einzuschenken mit etwas Starkem aus Rosemaries Hausbar.
Es war beinahe zwei Uhr früh, als Konrad ins Bett schlüpfte. Rosemarie tat, als schliefe sie.
Als Konrad Lang am nächsten Morgen die Augen aufschlug, war Rosemarie schon aufgestanden. Er zog die Vorhänge auf. Draußen stand die Sonne hoch an einem tiefblauen Mittagshimmel. Es war beinahe ein Uhr. Ihm war leicht ums Herz, und er wußte nicht, warum.
Unter der Dusche fiel ihm die Szene mit Thomas wieder ein. Aber der Schmerz, den er gestern noch empfunden hatte, war verschwunden. Er spürte nichts als eine unbeschreibliche Erleichterung.
Er kleidete sich besonders sorgfältig, brach am Strauß, der auf Rosemaries Schminktisch stand, eine Rose ab und steckte sie ins Knopfloch seines Sommerjacketts.
Rosemarie saß auf der Terrasse und las Zeitung. Das rosa Licht der Markise schmeichelte ihrem Teint. Sie schaute besorgt auf, als sie Konrad hörte. Aber als sie sah, wie glücklich und unternehmungslustig er war, lächelte sie. »Du hast geschlafen wie ein Säugling.«
»So fühle ich mich auch.«
Er aß ein leichtes Frühstück, und sie verloren kein Wort über Thomas Koch. Erst als Konrad sagte: »Heute koche ich uns mein legendäres Stroganoff«, fügte er hinzu: »Zur Feier des Tages.«
Konrad ging ins Einkaufszentrum, das zehn Minuten zu Fuß im Dorfkern lag, und kaufte ein, wie immer zuviel.
Auf dem Rückweg verlief er sich. Als er einen Passanten nach dem Weg fragen wollte, hatte er Rosemaries Adresse vergessen.
Bepackt mit Einkaufstaschen stand er ratlos auf dem Trottoir einer ihm völlig unbekannten Gegend. Da nahm ihm jemand zwei Taschen ab. Eine Männerstimme sagte: »Mein Gott, sind Sie beladen, Herr Lang. Warten Sie, ich trage Ihnen das bis zum Haus.«
Der Mann war Sven Koller, der Anwalt, der die Wohnung unter Rosemarie Haug bewohnte.
Bis zum Haus waren es keine hundert Meter.
4
Konrad Lang hörte wieder auf zu trinken.
Für einen Alkoholiker ist das eine Beschäftigung, die den ganzen Tag ausfüllt. Unter anderem fing er wieder an, Tennis zu spielen. Tennis hatte zu Tomis Erziehung gehört, also hatte es auch Konrad gelernt.
Rosemarie war Mitglied eines Klubs, in den sie ihn jeden zweiten Tag als Gast mitnahm. »Tennis ist ein Life-time-Sport«, sagte der Klubtrainer, »und wenn man älter wird, ist das Zählen auch ein gutes Training fürs Gedächtnis.«
Es war als Witz gemeint. Er wußte nicht, wie nötig Konrads Gedächtnis Training hatte.
Seit jenem Zwischenfall, als er Rosemaries Haus nicht mehr finden konnte, obwohl er praktisch davor gestanden hatte, waren ihm ähnliche Dinge passiert. Das Dümmste: Er hatte im Lift den Knopf für den Keller gedrückt, war ausgestiegen und hatte den Weg zurück in den Lift nur durch Zufall wieder gefunden.
Das Gefährlichste: Er hatte Teewasser aufgesetzt (bei seiner rastlosen Suche nach Ersatzgetränken war er auf Tee, alle Sorten von Tee gestoßen) und die falsche Herdplatte angeschaltet. Dummerweise die, auf der eine
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