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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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hätte, das sie beim Bummel über die Croisette von sich hatten machen lassen – Jujú hätte die ganze Begebenheit für eine Ausgeburt ihrer Phantasie gehalten.

20
    W er nicht wagt, der nicht gewinnt? Auf solche Sprüche hätte sie früher gespuckt. Doch jetzt erkannte sie, wie richtig dieses Sprichwort doch war. Luiza Mendes hatte etwas gewagt, und es sah ganz nach einem Hauptgewinn aus. Sie rieb sich die Hände. Es war schlau gewesen, ihrem Verlobten nach Lissabon zu folgen. In Coimbra hatte sie in dem Haushalt eines greisen Lustmolchs gearbeitet, dessen Wohnung, ganz gleich, wie oft sie lüftete, immer käsig roch, und ihre einzige Hoffnung hatte darin bestanden, dass der Alte endlich starb und sie in seinem Testament bedachte. Dann wurde der Dienstherr ihres Verlobten Manuel plötzlich in die Hauptstadt berufen, und Manuel zog in seiner Funktion als Hausdiener mit ihm. Luiza hatte vor der Entscheidung gestanden, den Tod ihres tatterigen Patrão abzuwarten oder aber die mögliche Erbschaft abzuschreiben und einen Neuanfang in Lissabon zu wagen.
    Das Glück war auf ihrer Seite gewesen. Manuel hatte seinem Herrn, dem Universitätsprofessor Salazar, neuerdings Finanzminister Portugals, von ihrer Lage berichtet, und der hatte seine Kontakte spielen lassen. Nun war sie im Haushalt der Dona Juliana beschäftigt. Herrlich! Die Arbeitszeiten waren angenehm, die Wohnung gepflegt, ihre Dienstherrin halbwegs erträglich. Nur der Sohn von Dona Juliana, Paulo, war lästig, aber mit dem würde sie auch noch fertig werden. Wäre doch gelacht, wenn sie einem Siebenjährigen nicht zeigen konnte, wo es langging! Der Junge ließ tagtäglich eine Spur der Verwüstung hinter sich zurück, und zwar mutwillig, die sie, Luiza Mendes, zu beseitigen hatte. Immerzu musste sie hinter ihm herräumen und -fegen und -putzen. Gestern erst hatte das kleine Ungeheuer eine Schale mit Haferbrei zu Boden geworfen und ihr dabei herausfordernd in die Augen gesehen. Seine Mutter war gerade nicht anwesend gewesen, vor der hätte er es nämlich niemals gewagt, sich danebenzubenehmen. Aber Luiza hatte nicht umsonst sechs jüngere Geschwister praktisch allein aufgezogen: Sie bückte sich, kratzte mit einem Löffel den Haferschleim vom Teppich in die Schale und stelle diese wieder vor den Jungen.
    »Nun iss schon, Paulinho«, säuselte sie, als Dona Juliana zurückkam. »Das sieht doch sehr fein aus.« Ha! Sie hätte sich totlachen können über das Gesicht des Kleinen, dem die Teppichflusen in seinem Essen ganz sicher nicht gut bekommen würden.
    Ja, den würde sie schon noch bändigen. Und ihren Manuel auch. Seit der bei einer wichtigen Persönlichkeit arbeitete, plusterte er sich unglaublich auf. Minister Salazar hier, Minister Salazar dort – fast hatte man den Eindruck, Manuel sei nun selber zu einem Finanzgenie geworden. Was bildete er sich eigentlich ein? Nur weil er den Gästen des Ministers die Mäntel abnahm, gehörte er noch lange nicht dazu. Mit blasiertem Gesicht hatte Manuel sie neulich doch tatsächlich über die Vorzüge der Militärregierung und die Unentbehrlichkeit seines feinen Professors belehrt. Wie ein Schuljunge, der etwas auswendig Gelerntes wiedergibt, ohne es begriffen zu haben, hatte er vor ihr gestanden.
    »In sechzehn Jahren haben die Republikaner vierundvierzig Regierungen gebildet, sieben Parlamente gewählt, acht Präsidenten gehabt. Es wurden zwanzig Staatsstreiche und Aufstände durchgeführt und mehr als 150 Streiks. Allein in Lissabon sind über 300 Bomben explodiert.«
    »Das hast du sehr schön gesagt, Manuel«, hatte sie ihm in ironischem Ton erwidert, den er falsch interpretierte. Auf sein gönnerhaftes Lächeln hin fuhr sie mit drastischeren Worten fort: »Aber daran, dass die Leute nichts zu fressen haben, kann auch dein werter Herr Minister nichts ändern.«
    »Oh doch. Deshalb haben sie ihn ja geholt. Vor zwei Jahren, nach dem Militärputsch, wollten sie noch nicht auf seine Bedingungen eingehen. Aber jetzt, da der letzte Finanzminister sich als Pflaume erwiesen hat, werden sie alles so tun, wie er es will. Und davon haben wir alle etwas, auch du, Luiza. Wenn er die Staatsverschuldung und die öffentlichen Ausgaben verringert, geht es Portugal wieder besser.«
    »Was du für gelehrte Wörter kennst, Manuel …« Luiza hatte keine Lust, sich den lauen Frühsommerabend durch solches Gerede verderben zu lassen. Wenn überhaupt, dann hätte sie den Minister schon gerne selber dazu angehört, der als Professor

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