So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock
gut hätten sie mir zur Begrüßung eine Keule über den Schädel ziehen können.
Das Bild mit dem Strudel passt auch auf die Situation, die zu Hause mit meinen Eltern entstand. Alles wurde durcheinandergewirbelt. Immer seltener gelang es uns, normal miteinander zu sprechen. Baba war sowieso meistens arbeiten, aber auch mit Anne funktionierte das nicht. Sicher lag es nicht nur an ihr, uns war irgendwie das gegenseitige Verständnis abhanden gekommen. Da wir beide recht temperamentvoll sein können, arteten selbst Kleinigkeiten meist in Streitereien aus. Hinterher fragte ich mich manchmal, ob es das alles wert war und warum ich nicht so sein konnte, wie meine Mutter mich gern gehabt hätte. War ich eine undankbare Tochter, nur weil ich nicht so sein
wollte, wie sie in ihrer Jugend gewesen war? Wie konnte sie das überhaupt vergleichen? Sie hatte die ersten Jahre ihres Lebens in einem abgeschiedenen Dorf in der Türkei verbracht. Berlin dagegen ist nicht nur eine Stadt, sondern im Vergleich dazu eine ganz andere Welt. Außerdem sind seit ihrer Jugend fast dreißig Jahre vergangen. War es wirklich unverschämt, ein bisschen mehr Freiheit einzufordern?
In meinen starken Phasen hatte ich klare Antworten auf all diese Fragen. In den schwächeren verunsicherten sie mich. Es ging so weit, dass ich mir selbst Vorwürfe machte: Wieso kannst du deine Bedürfnisse nicht einfach unterdrücken? Andere muslimische Mädchen schaffen das doch auch. Warum bist ausgerechnet du so ein Dickschädel?
Das Dilemma war, dass die schwächeren Phasen zunahmen, je mehr Arbeit ich mir zumutete. Ich hätte von allein daraufkommen können, dass das eine mit dem anderen zusammenhing, nur war ich viel zu beschäftigt. Außerdem: Wer denkt mit sechzehn daran, dass sein Körper streiken könnte? Davon hörte man bei älteren Menschen, die vierzig oder fünfzig waren oder darüber hinaus.
Vor zwei Jahren dann die ersten Alarmzeichen. Ich dachte noch: eine Magen-Darm-Verstimmung, nichts Besonderes. Es war Winter, Schmuddelwetter, da fängt man sich schnell so etwas ein. Mich hätte der Tag davor aufschrecken sollen, denn da fing es eigentlich an. Ich wollte mich nach der Schule mit Isabelle treffen, einer Freundin aus meiner Klasse. Nicht aus Langeweile, wir mussten ein Referat für die Schule besprechen. Es war kurz vor fünf, als ich loswollte. Ich wusste, dass es draußen schon dunkel war, dafür konnte ich ja nichts. Anne war da anderer Meinung. Sie sagte, das mit dem Referat hätte mir auch früher
einfallen können, als es noch hell war. Sie war allen Ernstes der Meinung, für ein sechzehnjähriges Mädchen sei es zu spät, draußen noch herumzulaufen. Und dann stellte sie eine Frage, die mich auf die Palme brachte: »Warum kann Isabelle nicht herkommen?« Isabelle war genauso alt wie ich, was machte den Unterschied? Wahrscheinlich hätten ihre Eltern keinen Mucks gesagt, aber wir hatten nun einmal besprochen, uns am Ernst-Reuter-Platz zu treffen. Sollte ich anrufen und sagen, dass meine Mutter mich um diese Zeit nicht mehr aus der Wohnung lässt? Wie peinlich wäre das denn gewesen!
Ich versuchte, ruhig zu bleiben: »Ich muss da jetzt hin, es ist wichtig!« Nur überzeugte sie das nicht. Wie oft hatten wir solche Dispute schon geführt? Es war immer dasselbe. Irgendwann schaukelte es sich hoch, Anne fing an zu schreien, und ich piepste auch nicht gerade wie ein Mäuschen. Das Letzte, was ich hörte, bevor ich im Treppenhaus verschwand: »Dann geh doch! Geh ruhig! Wenn dir etwas passiert, wirst du schon bereuen, nicht auf deine Mutter gehört zu haben …« Das Ganze natürlich auf Türkisch.
So kriegte sie mich immer. Kaum saß ich in der Bahn, meldete sich mein schlechtes Gewissen. Wieder war ich die böse Tochter gewesen, die ihre Mutter enttäuscht hatte. Würde das denn niemals aufhören?
Ich hatte mich mit Isabelle auf der Mittelinsel am Ernst-Reuter-Platz verabredet, dort, wo ich bei meinem ersten Treffen mit Batu gewesen war, aber daran dachte ich jetzt nicht. Isabelle verspätete sich. Ich wartete auf einer Bank, zitternd wie Espenlaub, ein eisiger Wind strich über den Platz. Mir war hundeelend, ich kämpfte mit den Tränen. Um mich abzulenken, schaltete ich das Radio an meinem
Handy ein. Ich dachte, ich höre nicht richtig. Etwas Passenderes hätten sie nicht spielen können: Christina Aguilera sang » So mother, I thank you for all that you’ve done and still do …« Erst wollte ich ausschalten, ließ es dann aber, hörte zu
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