So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock
brach genau im selben Moment auf wie ich. Wie es seine Art ist - er scheint nie auch nur eine Minute einfach zu vertrödeln -, liefen wir nicht schweigend nebeneinander her, er der große Chef, ich die kleine Praktikantin. Er nutzte die paar Schritte, um mich ein Loch in den Bauch zu fragen: Was ich sonst mache, ob ich noch zur Schule gehe, auf welche, wie alt ich bin, ob ich nebenbei jobbe, wie die Noten auf meinem letzten Zeugnis aussehen
… Er schoss die Fragen nur so ab, dass ich kaum hinterherkam, ihm zu antworten. Wenn ich etwa sagte, dass ich das Schiller-Gymnasium besuche und dann noch vom Abitur erzählen wollte, kam ich höchstens bis Abi… - dann interessierte ihn schon das Nächste. Als hätte er nach etwas ganz Bestimmten gesucht. Erst als er herausgefunden hatte, dass ich stellvertretende Schulsprecherin war, im Bezirksschülerausschuss mitmachte und auch sonst nicht dazu neigte, faul herumzulungern, drosselte er seinen Frageschwall mit einem Mal und schien nachzudenken. Als überlegte er, ob er mir ein Geheimnis anvertrauen könne.
Ich will die Geschichte nicht aufbauschen, aber der kurze Spaziergang an der Seite dieses Mannes, den ich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht richtig kannte, wirbelte mein Leben durcheinander, zumindest die folgenden anderthalb Jahre. Aus dem Gespräch, wenn man das Turbo-Frage-Antwort-Spiel so bezeichnen kann, entstand eine Idee. Aus der Idee entwickelte sich - oder besser gesagt: entwickelte ich, nicht allein, aber doch federführend - eine Aktion. Und diese Aktion machte eine junge Türkin aus dem Stadtbezirk Berlin-Schöneberg, die für den Rest des Sommers eigentlich etwas anderes vorgehabt hatte, in ganz Deutschland bekannt. Mehrere Zeitungen berichteten über sie, auch überregionale, sogar Der Spiegel , und das ZDF schickte ein ganzes Team, um sie bei ihrer Arbeit zu filmen. Aber stopp, jetzt bin ich vorangeprescht. Mal schön der Reihe nach.
Obwohl, wenn ich es recht bedenke, ging es dann auch rasend schnell. Ohne dass ich davon wusste, hatte ich die Anlaufphase offenbar bereits hinter mir, als wir die andere Geschäftsstelle erreichten. Kenan Kolat nahm mich gleich
mit in sein Büro. Er musste auf der Straße eine Entscheidung getroffen haben. Seine Mitarbeiter waren gerade damit beschäftigt, eine Bildungskampagne auf die Beine zu stellen. Sie hatten sich verschiedene Projekte ausgedacht, mit denen Eltern, Studierende und Auszubildende erreicht werden sollten. Was ihnen noch fehlte, war ein Projekt für Schüler. Und ich war nun mal eine Schülerin, so wird er kombiniert haben. Neben mir arbeitete noch eine zweite Praktikantin dort, Hacer Bilgiç, ein Jahr älter als ich. Sie hatte das Abitur gerade hinter sich und bereitete sich auf ihr BWL-Studium vor. Ehe wir uns versahen, waren wir ein Team, und die Arbeit ging los.
Als Erstes entwickelten wir ein Konzeptpapier, ohne genau zu wissen, wie so etwas überhaupt aussieht. Wir machten es einfach, wie wir es für richtig hielten. Das Wichtigste war, ein Ziel zu formulieren. Das sagte uns der gesunde Menschenverstand. Wie kann man loslaufen, wenn man nicht weiß, wohin die Reise gehen soll? Wir wollten Schüler mit Migrationshintergrund dazu bringen, sich in ihren Schulen mehr zu engagieren. Klingt erst mal etwas abstrakt, hatte aber einen konkreten Hintergrund. Ich hatte es in den verschiedenen Schülergremien selbst erlebt und Hacer auf ihrem Gymnasium auch. Wer machte denn in den Schülervertretungen mit? Kinder von Migranten? Doch höchstens, wenn deren Eltern aus Amerika stammten oder vielleicht aus Schweden. Das sind ja auch Migranten, was oft übersehen wird. Schüler mit türkischen Vorfahren jedenfalls konnte man dort suchen wie die berühmte Stecknadel im Heuhaufen. Dafür muss es Gründe geben, auch die wollten wir herausfinden. Vor allem aber hat es Folgen, davon bin ich überzeugt. Wer sich nicht für
die Schule interessiert, für die Möglichkeiten, die einem dort geboten werden, auch außerhalb der Unterrichtsstunden, kickt sich praktisch selbst ins Aus.
Aber ich will das hier gar nicht alles haarklein erklären. Ich glaube, man versteht auch so, was wir erreichen wollten. War nur die Frage, wie wir das schaffen könnten. Wir kamen darauf, Workshops zu organisieren. Uns schwebten keine politikschweren steifen Informationsabende vor, wir wollten das ganz locker aufziehen, jugendgemäß, abwechslungsreich, damit es auch Spaß brachte. Wir sagten uns, wer Spaß hat, ist eher bereit, sich mit der
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