So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock
wurde es als Sensation gehandelt, dass so viele Zeitungen über mich berichteten. Alle waren mächtig stolz auf mich. Für Großvater war es besonders aufregend. Die Artikel in den deutschen Zeitungen verstand er nicht, aber er holte sich die türkischen Blätter. Es begeisterte ihn, dass er in seiner Sprache etwas über seine Enkelin lesen konnte, die doch lieber Deutsch spricht. Auch meine Onkel und Tanten lasen alles und gratulierten mir. Onkel Cemal machte natürlich seine Späßchen. Wenn wir uns trafen, hielt er mir die Hand vor den Mund
und tat so, als würde er mich interviewen. Oder er spielte einen Fotografen, der mich aus allen Perspektiven ablichten wollte, oder er bat mich um ein Autogramm, als wäre ich ein Star. Tayfun prahlte mit seiner kleinen Schwester. Den Spiegel, in dem später etwas über mich stand, nahm er sogar mit zur Arbeit, um ihn seinen Chefs zu zeigen.
Anders war es mit meinen Freundinnen und den Leuten in der Schule. Die meisten wussten gar nichts von meinem Projekt. Ich bin nie rumgerannt und habe groß davon erzählt. Nur meine drei »dicksten« Freundinnen hatte ich eingeweiht. Und die freuten sich auch riesig mit mir.
Natürlich war ich auch ganz aufgedreht, aber da gab es noch etwas, das mich beschäftigte. Möglicherweise würden alle, die an diesem Tag von uns lasen, das am nächsten schon vergessen haben. Mag sein. Es wäre aber auch denkbar, dass sich der eine oder andere an mich erinnert, wenn ich ihm irgendwann in der U-Bahn gegenübersitze oder woanders begegne. Es gab ja nicht nur die Zeitungen, auch im Fernsehen waren unsere Gesichter zu sehen, zwar erst mal nur auf einem Regionalsender, ein paar Wochen später aber auch im ZDF. Es war nicht so, dass ich in diesem Augenblick beschloss, ab sofort zu allen Menschen nur noch freundlich zu sein. In meinem Hinterkopf nistete sich eher der Vorsatz ein, in Zukunft mehr darauf zu achten, wie ich auftrat, was ich sagte und wie ich etwas sagte, nicht gleich patzig zu werden, wenn mir was nicht in den Kram passte. Vor allem wollte ich versuchen, erwachsener zu wirken. Wie auch immer man das anstellte, denn das war mir nicht so klar.
Nicht lange, und ich erhielt die Gelegenheit, diese Vorsätze umzusetzen. Die Herbstferien waren gerade vorüber.
Ich kam vom Urlaub aus der Türkei zurück, Hacer hatte inzwischen ihr Studium in Frankfurt an der Oder begonnen, was unsere Zusammenarbeit deutlich erschwerte. Auf Dauer konnte das nicht funktionieren, doch das Projekt war unser Baby, wenigstens diesen einen Auftritt wollten wir noch gemeinsam über die Bühne bringen. Wir mussten bei den Damen vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Die Zentrale des Amtes befindet sich in Nürnberg. Und genau dorthin waren wir unterwegs. Zu einem Kongress. Ich sage jetzt mal Kongress dazu, wie sich die Veranstaltung genau nannte, weiß ich nicht mehr. Es waren eine Menge Leute da, und alle hatten irgendwie mit Migrantenselbstorganisationen zu tun. Das ist praktisch ein Oberbegriff für alle möglichen Vereine und Initiativen, in denen sich Migranten oder Nachkommen von Migranten engagieren. Ich hätte nicht gedacht, dass es davon ungefähr eine Million gibt. Na, vielleicht nicht eine Million, aber unheimlich viele. Man braucht nur mal alle Nationalitäten zusammenzuzählen, die in Deutschland vertreten sind, und von jeder gibt es zig Vereine. Da wird immer gelästert, die Deutschen seien mit ihren Kaninchen- und Taubenzüchtervereinen ein Volk von Vereinsmeiern. Also, ich weiß nicht, ob Migranten da wirklich so anders sind.
Was ich ganz vergessen habe: Wir flogen nach Nürnberg. Das Bundesamt wollte, dass wir bei der Veranstaltung unser Projekt präsentierten, also zahlte es den Flug. Ich erfuhr, dass man das Reisekostenrückerstattung nennt. Feine Sache. Dadurch bekam unser Trip natürlich einen anderen Stellenwert. Die Herrschaften ließen uns einfliegen, klang irgendwie cool. Zumal ich gerade erst mit dem Flieger
aus Antalya gekommen war. Wenn es hoch kam, hatte ich in der Nacht zwei Stunden geschlafen, bevor ich losmusste, wieder zurück zum Flughafen Tegel. Dabei ist mir das nicht einmal schwergefallen, ich war viel zu aufgeregt.
Die Anspannung stieg mit jedem Kilometer, den wir Nürnberg näher kamen. Und dann fanden wir uns plötzlich in einem Saal bei diesem Bundesamt wieder, hinter einem Rednerpult, vor schätzungsweise hundert Zuschauern - mindestens. Ich kann nur für mich sprechen, wie ich
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