Sommermond
die Typen gekommen und hatten ihm gedroht, Ben etwas anzutun. Als es dann noch zu dem Vorfall im Krankenhaus gekommen war, nachdem die Kripo in der Villa aufgetaucht war, hatte Alex alles ihm Mögliche versucht, um die Polizei aus der Sache herauszuhalten. Er war nicht feige oder naiv. Er war auch nicht unvernünftig oder davon überzeugt, die Probleme allein bewältigen zu können. Aber er war verliebt und wollte Ben schützen. Das war alles.
„Scheiße …“, murmelte Ben, als ihn diese Erkenntnis durchdrang.
Erst jetzt wurde ihm das Ausmaß seines Verhaltens bewusst. Erst jetzt verstand er Alex‘ heftige Reaktion und alles, was darauf gefolgt war. Er seufzte laut auf und griff geistesabwesend nach dem Fotoalbum, um es zurück auf seinen Schoß zu ziehen. Jetzt betrachtete er die Bilder in einem anderen Licht. Er sah, wie Alex auf einigen Fotos lachte und dabei richtig glücklich aussah. Das ließ sein schlechtes Gewissen rasant wachsen. Ein unangenehmes Gefühl legte sich in seinen Magen und erinnerte ihn an den Streit zurück. Als er ein paar Seiten weiter blätterte, stach ihm ein Foto ganz besonders ins Auge. Er hob seine Hand und fuhr die Konturen von Alex‘ Gesicht nach. Es war eine schöne Aufnahme des Blonden. Auf dem Bild saß er auf einem hölzernen Stuhl in einem Café. Es war Sommer. Auf seinen blassen Wangen glänzte ein roter Schimmer. Die Sonne blendete ihn. Sein linkes Auge hatte er zusammengekniffen, das andere nur zur Hälfte geöffnet. Sein Oberkörper hielt er leicht nach vorn gebeugt. Neben ihm saß Sam. Der Schäferhund hatte seine Vorderpfoten auf Alex‘ Schoß gelegt. Dieser streichelte ihm durchs Fell. Blonde Haarsträhnen hingen ihm dabei ins Gesicht und auf seinen Lippen lag ein ehrliches Lächeln. Er sah gut aus. So gut, dass ein heißer Schauer über Bens Rücken jagte. Unbewusst löste er das Foto, legte das Album zur Seite und behielt nur noch das eine Bild in seinen Händen. Nachdenklich betrachtete er es. Auf dem Foto sah Alex richtig lebendig aus. Er hatte ein weißes Hemd an, dessen Ärmel er bis zu seinen Ellenbogen hochgekrempelt hatte. An seinem Handgelenk trug er mehrere, schwarze Lederarmbänder. Das Bild war so perfekt, dass es aus einem Katalog für Designerkleidung stammen könnte. Alex sah aus wie ein professionelles Model.
Ben betrachtete es noch eine ganze Weile. Er konnte sich kaum vorstellen, dass der Kerl auf dem Foto mal Alex war. Zwar war der Blonde auch heute noch sehr attraktiv, aber in seinen Blicken und Gesten spiegelte sich kaum noch Lebensfreude wider. Ben kannte Alex nur als jemanden, der die meiste Zeit in sich gekehrt und fast rund um die Uhr damit beschäftigt war, verschiedene Probleme zu bewältigen. Als jemanden, der kaum lachte und wenn er es dann doch einmal tat, sich im gleichen Moment zu beherrschen versuchte.
Ben presste seine Lippen zusammen. Dann nahm er das Bild, hob sein Becken kurz an und stopfte es in seine hintere Hosentasche. Er brachte es nicht fertig, es zurück in das Album zu kleben. Er wollte es nicht stehlen, es sich lediglich leihen, um sich eine Kopie davon zu machen. Dieses besondere Bild stellte für ihn eine Art Beweis dafür dar, dass er sich nicht in Alex getäuscht hatte. Er hatte dessen wahren Charakter von Anfang an erkannt und sich von keinem seiner Verhaltensmuster irritieren lassen. Das Foto zeigte den Menschen, den er liebte. Einfach den Menschen, den er in Alex sah.
Ben brachte seinen Gedankenzug zu Ende und verdaute ihn erst einmal. Dann nahm er das Fotoalbum und stellte es zurück in das Regal. Als er sich wieder hinlegte, griff er zeitgleich nach der Fernbedienung und nahm sich doch ein Croissant vom Teller. Seine Schmerzen waren wieder besser geworden. Bestimmte Bewegungen fielen ihm zwar schwer, doch beim Sitzen und Liegen hatte er keinerlei Beschwerden. Auf seinem Handy gab es noch immer keine neue Nachricht. Aber Ben hatte Zeit und das Foto von Alex hatte ihm noch einmal dazu verholfen, seinen Geduldspegel zu erhöhen. Er biss in das goldbraune Croissant, schaltete den Fernseher an und begann sich durch die verschiedenen Programme zu zappen. Auf den meisten Sendern liefen Wiederholungen alter Serien oder Sitcoms. Genervt stöhnte er auf und blieb schließlich bei einer N24-Reportage hängen, die über verschiedene Naturgewalten berichtete. Das lenkte ihn erfolgreich ab. Der Sender war eigenartig. Mit ihm verhielt es sich wie mit Salzstangen oder Butterkeksen. Man hatte nie Appetit darauf, aber wenn man
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