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Somniferus

Somniferus

Titel: Somniferus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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grinste mich an und sagte: »Ich glaube nicht, dass Sie es
sehr faszinierend finden würden, andauernd langweilige
Supermärkte oder gesichtslose Reihenhäuser zu planen. Ich
bin noch nicht lange in meinem Beruf tätig und habe riesiges
Glück gehabt, überhaupt eine Anstellung in einem
großen Architekturbüro zu bekommen. Für mich als
Anfängerin bleiben natürlich immer nur die langweiligen
Sachen übrig.«
    »Haben Sie… sich jetzt eine Woche Urlaub genommen?
Wegen… wegen…«
    »Richtig. Im Augenblick gibt es im Büro nicht so sehr
viel zu tun und Herr Dr. Schreiner, mein Chef, hat Verständnis
für meine Lage gezeigt.«
    Als sie dies sagte, änderte sich ihr Gesichtsausdruck wieder.
Es war, als hätte sie für ein paar Minuten all das
Grässliche vergessen, das sie in den letzten Tagen hatte erleben
müssen. Jetzt war der Vorhang wieder gefallen, doch er hatte mir
zuvor den Blick auf eine Frau gewährt, die ich unangenehm gern
zu haben begann.
    »Was sollen wir jetzt Ihrer Meinung nach tun?«, fragte
sie mich.
    Ich zuckte mit den Schultern. »Ich bin mit meinem Latein am
Ende. Aber ich bin auch furchtbar müde. Vielleicht sollten wir
uns auf morgen vertagen.«
    »Aber wo wollen Sie denn die Nacht verbringen?«, fragte
sie mich.
    Sie hatte Recht. Nach Manderscheid konnte ich nicht zurück,
denn das Haus in der Burgstraße wurde sicherlich observiert.
Meine Kölner Wohnung war aus demselben Grund tabu. Aber ich
hatte Geld. Also konnte ich mir ohne weiteres ein billiges
Hotelzimmer leisten. Oder besser ein Pensionszimmer, wegen der
verräterischen Anmeldeformulare. Das sagte ich Lisa Adolphi.
Einen Augenblick lang hoffte ich, dass sie dagegen Einspruch erheben
und mich dazu einladen würde, die Nacht bei ihr zu
verbringen.
    Sie sagte: »Eine sehr gute Idee. Ich fahre jetzt zurück
nach Manderscheid und nehme das Buch mit. Vielleicht fällt mir
ja noch etwas dazu ein. Wir treffen uns morgen früh wieder hier
im Café. Um zehn Uhr. Einverstanden?«
    Ich nickte. Das war mehr als ich erwarten durfte.
Schließlich hatte mich Frau Adolphi noch heute Vormittag als
Mörder denunziert! Ich rief die Kellnerin herbei und zahlte.
Dann brachen wir auf.
    Als wir auf die Straße hinaustraten, sah ich aus den
Augenwinkeln von links mehrere schwarze Umrisse die Straße
herabkommen – schnell.
    »Halt! Bleiben Sie stehen!«
    Es war ein Polizist, der da rief. Neben ihm lief Kommissar
Deschemski. Und dahinter folgten in erstaunlichem Tempo die drei
alten Damen, die mich bei ihrem Aufbruch so eingehend angestarrt
hatten.

 
12. Kapitel
     
     
    Ich war starr vor Schreck. Wenn Lisa nicht gewesen wäre,
hätte ich mich ziemlich schnell in einer ausbruchsicheren Zelle
wiedergefunden. Sie zerrte geistesgegenwärtig am Ärmel
meiner Jacke und brach so den Bann, den die beiden Polizisten und die
drei alten Frauen über mich geworfen hatten. Sie hastete los
– den Berg hinunter, weg von den Polizisten.
    Die Leopoldstraße machte eine scharfe Biegung nach rechts.
Ein Mann in den Fünfzigern kam uns mit einem Dackel entgegen.
Lisa rannte ihn einfach um. Er strauchelte und konnte sich gerade
noch an einer Hauswand festhalten. Der Dackel bellte mich wütend
an und schnappte nach meiner Hose; glücklicherweise erwischte er
sie nicht.
    Wir stürmten über die Straße; ein Golf mit
abgedunkelten Scheiben, aus denen ein Schlagzeugsolo wie Bombenhagel
dröhnte, hupte aufgeregt, bremste quietschend und hinter ihm
konnte ein anderes Auto nicht mehr rechtzeitig anhalten. Ich
hörte das unangenehme Geräusch sich verformenden Blechs und
dann saftige einheimische Flüche. Jemand rief: »He, da sind
Polizisten! He, Herr Wachtmeister, sehen Sie sich das an!«
    Ich warf einen raschen Blick zurück. Die drei Frauen waren
nicht mehr zu sehen; die beiden Polizisten wussten nicht, was sie als
Nächstes tun sollten. Schließlich rief Deschemski:
»Machen Sie das, Müller! Ich verfolge die beiden
weiter!« Aber sein Zaudern hatte ihn bereits einige Zeit
gekostet.
    Ich hatte keine Ahnung, wo wir hinliefen, und ich glaubte, Lisa
Adolphi wusste es auch nicht. Bloß abwärts, schien ihre
Devise zu sein. Sie bog nach links in die Lindenstraße ein,
immer weiter den Berg hinunter, an dem Daun wie ein Wespennest liegt,
vorbei an Geschäften, Restaurants, zwischen schmusenden
Pärchen und Urlauberfamilien mit quäkenden Kindern hindurch
– und noch immer hatten wir Deschemski nicht
abgeschüttelt.
    Da begannen die Schmerzen in meiner Seite. Jeder Schritt wurde

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