Sozialisation: Weiblich - männlich?
erinnert werden, daß bei den europäischen Juden die Unfähigkeit zur körperlichen, insbesondere landwirtschaftlichen Arbeit am Anfang dieses Jahrhunderts schon als biologisch vererbt galt. Der Wunsch, dies zu widerlegen, war ein starker Antrieb der frühen Kibbuz-Bewegung, Momentan ist es die Erforschung der Spezialisierung der Gehirnhälften, die bei dem „Nachweis“ biologisch begründeter Geschlechtsunterschiede hoch im Kurs steht. Zugleich gibt es einige Hinweise auf Unterschiede nach sozialer Schicht
(Lambert
1978, S. 110), und das als „geschlechtstypisch“ für Frauen geltende Muster wird bei
Martindale
(1978) für jüdische Versuchspersonen gefunden. Mindestens ebenso glaubwürdig wäre die Annahme, daß historische Erfahrungen von Unterdrückung und Benachteiligung zu einer gewissen Verkümmerung von Fähigkeiten führen können, oder daß auch ein Selbstbild des „Könnens“ oder „Nichtkönnens“ entsteht, welches die Leistungen in Testsituationen ein wenig verschieben kann. Für die kleinen Differenzen, die beim Mittelwert der Testleistungen jeweils gefunden werden, würden solche Einflußfaktoren durchaus auch ausreichen.
4. Einschätzung der Bedeutung der vorliegenden Ergebnisse
Aus dem Vorangegangenen ist deutlich geworden, daß die empirische Forschung insgesamt keine Belege für eindeutige, klar ausgeprägte Unterschiede zwischen den Geschlechtern liefert. Es gilt nun, die Bedeutung dieser Sachlage einzuschätzen.
Die referierte Forschung ist zum größten Teil dem Denkstil der Eigenschaftspsychologie verpflichtet, d. h. daß den Individuen eine zeitlich überdauernde, situationsübergreifende Neigung oder Fähigkeit zu einem bestimmten Verhalten unterstellt wird. Das Verhalten wird gemessen oder gezählt, höhere Werte werden gedeutet als Anzeichen für eine Disposition, sich so zu verhalten, und das Geschlecht gilt dann als ein Merkmal der Person, welches eventuell die Disposition erklären könnte. Die Grundannahmen der Eigenschaftspsychologie sind oft kritisiert worden, das Modell ist sicherlich unzulänglich, um das Verhalten von Menschen in wirklichen Lebenssituationen zureichend zu beschreiben (vgl. hierzu z. B.
Sherif
1979, S. 117;
Bilden
1980, S. 779ff.). Weitzman vertrat schon 1975 die These, daß gerade geschlechtstypisches Verhalten in hohem Maße situationsspezifisch ist, so daß widersprüchliche und unklare Forschungsergebnisse zu erwarten sind
(Weitzman
1979, S. 177). Alles Verhalten, das von den Normen für die Geschlechter betroffen ist, wird demnach unterschiedlich in Erscheinung treten je nach der Situation, je nach der Beziehung zu Interaktionspartnern (einschließlich Beobachter), und je nach der lebensgeschichtlichen Entwicklung des Selbstbildes.
Einige Untersuchungen versuchen diese Faktoren mitzuerfassen. Die Daten über aggressives Verhalten und Gehorsam sehen sehr unterschiedlich aus, je nachdem, ob das Verhalten gegenüber gleich- oder andersgeschlechtlichen, gleichaltrigen oder erwachsenen Personen erfaßt wird. Auch die testpsychologischen Messungen von Weiblichkeit und Männlichkeit bewegen sich etwas schwerfällig in die Richtung, die Beziehung zwischen Selbstbild und Verhalten anzusehen. Die unklaren Ergebnisse der Forschung sind zu einem großen Teil darauf zurückzuführen, daß das Geschlecht per se eine ungeeignete unabhängige Variable ist. Sie besagen nicht, daß es keine Unterschiede im Verhalten weiblicher und männlicher Personen gibt.
Unterschiede in den kognitiven Fähigkeiten der Geschlechter sind gering oder nicht existent, sofern wir breite Kategorien nehmen, die für praktisch bedeutsame Bereiche von Leistungen gelten. 5 Andererseits sind Unterschiede nach Geschlecht in der Forschung relativ häufig, sie sind jedoch auf spezielle Meßgrößen und oft auf spezielle Versuchsanordnungen beschränkt. Wird eine „Fähigkeit“ in überprüfbare Einzelleistungen übersetzt, treten bei manchen konkreten Teilaufgaben Unterschiede nach Geschlecht auf, die aber bei anderen Teilaufgaben oder bei einer abweichenden Operationalisierung verschwinden oder zugunsten des anderen Geschlechts ausfallen. Eben das Vorgehen von Maccoby und Jacklin und anderen, die Vielzahl vorliegender Untersuchungen begrifflich zusammenzufassen, führt als methodisch bedingte Folge ihres Vorgehens dazu, keine eindeutige Bestätigung für Unterschiede zu finden.
Allem Anschein nach gibt es Fähigkeiten oder Geschicklichkeiten, die nur in sehr spezifischen Situationen zum
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