Sozialisation: Weiblich - männlich?
Eindruck ursächlich verantwortlicher biologischer Faktoren (vgl.
Meyer-Bahlburg
1974 und 1980). Dem entspricht auch, daß Texte über weibliche Sozialisation die Klischeebilder der Geschlechter zumeist als faktisch vorhandene Sozialcharaktere behandeln, so daß nur noch gefragt wird, wie es dazu kommt, daß Frauen all diese Merkmale haben. Nach meinem Eindruck ist dies nicht darauf zurückzuführen, daß die Klischees in Deutschland eher der Wirklichkeit entsprechen; vielmehr ist zu beobachten, daß Frauen, die nach eigener Einschätzung dem Bild nicht entsprechen, selbst innerhalb der Frauenbewegung von Zweifeln über ihre Weiblichkeit gequält sind. Vereinzelt berichtete Ergebnisse empirischer Erhebungen von geschlechtstypisch vermutetem Verhalten in Deutschland geben keinen Anlaß zu der Annahme, daß die Unterschiede hier ausgeprägter wären. Ich vermute eher, daß die Entfremdung zwischen den Geschlechtern tiefer ist: die Kommunikation stärker behindert, die Selbstbilder stärker polarisiert.
Mein zweiter Eindruck ist, daß mit Geschlechtsunterschieden unterschiedlich umgegangen wird. Texte über Unterschiede, bei denen eine weibliche Überlegenheit zur Diskussion steht, sind insgesamt zurückhaltender geschrieben: das Ausmaß des Unterschiedes wird (bei durchaus vergleichbarer Datenlage) eher heruntergespielt, biologische Argumente werden kaum vorgebracht, dafür die Bedeutung sozialer und kultureller Einflüsse betont. Stehen hingegen Differenzen zur Diskussion, die männliche Überlegenheit aufweisen würden, wird in der Argumentation oft kurzgeschlossen; wir bewegen uns innerhalb eines Aufsatzes in rasanter Geschwindigkeit von isolierten Befunden mit kleinen Unterschieden zu allgemeinen Hypothesen, die sich wiederum einige Absätze später in faktische konstitutionelle Unterschiede verwandelt haben.
Extrem biologistische Auffassungen von „Begabung“ sind in diesen Texten häufiger, d. h. etwa daß Differenzen im IQ unter der Voraussetzung besprochen werden, als wären sie allein aus genetischen Vorgaben abzuleiten, selbst wenn es um einen Unterschied von 10 IQ-Punkten geht. Spuren der Lernfähigkeit des Menschen werden ärgerlich beiseitegewischt, wie z.B., wenn Bindel fordert, es müßten endlich „solche Testverfahren zum Einsatz kommen, die möglichst rein bestimmte biologische Intelligenzfaktoren ermitteln können“
(Bindet
1979, S. 139). Ein Vergleich der Beiträge von Bindel und Wintermantel (in
Keller
1979) vermittelt einen Eindruck von diesem unterschiedlichen Umgang. Es wäre eine eigene meta-wissenschaftliche Untersuchung wert, die unterschiedliche Behandlung von Daten, die unterschiedliche Aggressivität im Vorbringen von Schlußfolgerungen und die unterschiedlichen Ebenen der Erklärung systematischer nachzuprüfen; hier scheint auch einiges an geschlechtstypischem Verhalten innerhalb der Wissenschaft vorzuliegen.
II. Mittel, Wege und Wirkungen geschlechtsspezifischer Erziehung
Die Frage nach unterschiedlichem Erziehungsverhalten gegenüber Mädchen und Jungen kann nicht von der Voraussetzung ausgehen, daß dadurch verschiedene Charaktere bewirkt oder hergestellt würden. Aus der Feststellung von Erziehungsmaßnahmen ist noch kein Schluß auf den Erziehungserfolg zu gewinnen; selbst massiver sozialer Druck kann auch das Gegenteil seines Ziels bewirken. Die in diesem Abschnitt zu beschreibenden Mittel und Wege geschlechtsspezifischer Erziehung vermitteln der heranwachsenden Generation vor allem, daß das gleiche Verhalten unterschiedliche Bedeutung hat, je nachdem, ob ein Junge oder ein Mädchen es tut. Dabei ist zu berücksichtigen, daß Geschlechtsnormen zugleich auch Altersnormen sind: Was als weiblich oder männlich gilt, ist für verschiedene Altersgruppen unterschiedlich definiert. Es wird als „für ihr Alter normal“ eingeschätzt, wenn Mädchen und Jungen im Grundschulalter getrennt spielen wollen, für 15jährige gilt der Wunsch nach Aktivitäten gemeinsam mit dem anderen Geschlecht als „normal“. Bei Achtjährigen ist es für Mädchen eher typisch, daß sie gut im Rechnen sind und gerne rechnen; bei Achtzehnjährigen ist starkes Interesse an Mathematik eher untypisch. Daher ist anzunehmen, daß auch die Mittel und Wege der Erziehung altersspezifisch in ihrer Wirksamkeit sind.
1. Erziehung in der Familie
Die Forschung in diesem Bereich stand lange unter dem Einfluß theoretischer Konstrukte, die durchweg eine Verursachung der Geschlechtsrollenannahme durch das
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