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Sozialisation: Weiblich - männlich?

Titel: Sozialisation: Weiblich - männlich? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Hagemann-White
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allem von den Kindern, daß sie in der Öffentlichkeit sich „anständig“ verhalten: der Trotzanfall, die Nuckelflasche sind zu Haus problemlos zugestanden, sollen aber außerhalb nicht mehr erscheinen. Dem entsprechend sind nun die siebenjährigen Jungen meist so weit, ihrerseits nicht mehr zuzulassen, daß die Mutter sie in der Öffentlichkeit küßt oder mit ihnen schmust – zuhause ist die Anschmiegsamkeit keineswegs geschlechtstypisch verteilt. Bei aller Unterschiedlichkeit sind die allermeisten Mütter in dieser Ambivalenz eingespannt: Selbst die liberalsten sind sich der Normen bewußt; und einige Mütter berichten, daß das Kind von Gleichaltrigen wegen seiner, der Geschlechtsrolle widersprechenden Neigungen gnadenlos aufgezogen wird. Selbst relativ traditionell denkende Mütter fühlen sich dafür verantwortlich, das Recht des Kindes auf die eigene Persönlichkeit zu verteidigen, auch wenn dies Abweichungen von der Geschlechtsrolle beinhaltet. Verlangt wird – wie bei den guten Manieren oder dem Aufgeben von Babysachen – vielmehr Einsicht in die Tatsache, daß die Normen „draußen“ gelten, und realitätsgemäße Beachtung in öffentlichen Räumen.
(Newson/Newson
1976, S. 402-5). Allerdings sind es oft die Kinder, die zuerst auf die Notwendigkeit der Beachtung geschlechtsspezifischer Normen außerhalb der Familie hinweisen.
    Auch die Forschung in den USA neigt in den letzten zehn Jahren zunehmend zu der Einschätzung, daß Mütter sich eher nach der wahrgenommenen
    individuellen Eigenart ihres Kindes richten. Mütter gehen
z.B.
ihrem Sohn ebenso viel Lob und Zuwendung, wenn er mit „Mädchenspielsachen“ spielt
(Langlois/Downs
1980); ganz allgemein werden kaum Unterschiede berichtet, wenn die tatsächliche Interaktion zwischen Mutter und Kind beobachtet wurde. Immer wieder ist allerdings zu lesen, daß Väter deutlicher und auch absichtsvoller auf geschlechtstypisches Verhalten dringen. Das fängt schon bei den Erwartungen an das Neugeborene an
(Rubin
u.a. 1974,
Seavey
u.a. 1975), geht über die bewußt geäußerten Erziehungsziele bis hin zu der tatsächlichen Interaktion
(Segal
1981,
Langlois/Downs
1980,
Fagot
1974,
Tauber
1979). Obwohl es sich hierbei um kleine Stichproben handelt und vor allem Väter wenig verfügbar zu sein scheinen (bzw. die Forscher wenig in der Lage oder interessiert sind, ihre Untersuchungszeiten so einzurichten, daß das Verhalten von Vätern und berufstätigen Müttern einbezogen werden könnte), ist doch beeindruckend, wie oft dieselbe Tendenz aufscheint. Väter nannten doppelt so viele Verhaltensweisen als geschlechtstypisch angemessen wie Mütter
(Fagot
1974, S. 556-57); Väter gaben den Söhnen doppelt so viel Zuwendung wie den Töchtern, während Mütter beiden gleich viel Zuwendung gaben
(Margolin/Patterson
1975; Mütter gaben den Söhnen sogar mehr Lob und Zuwendung für ihr Spiel mit „Mädchenspielsachen“, während Väter dies stark sanktionierten, hingegen die Söhne darin bestärkten, mit Soldaten, Cowboykostüm oder Autos zu spielen
(Langlois/Downs
1980). Da die Beteiligung der Väter an der Kindererziehung überwiegend als „Hilfe“ begriffen wird, die die Mutter bei ihrer selbstverständlichen Dauerverantwortung zeitweise entlastet, spielt bei den Vätern das Lustprinzip eine weitaus größere Rolle. Spiele, auf die der Vater sich begeistert einlassen kann und mag, sind zugleich für das Kind Chancen, seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu erhalten. Die Spielvorlieben der Hauptbezugsperson, deren Aufmerksamkeit eher vorausgesetzt werden kann, haben demgegenüber kein solches Gewicht. Die Vermutung liegt nahe, daß die stärker geschlechtsspezifischen Erwartungen der Väter eine weitaus größere emotionale Bedeutung für das Kind haben können als die eher gleichmäßig dem Individuum gerecht werdende Zuwendung der Mütter. Wir wissen jedenfalls wenig über massive, eingreifende Unterschiede in der alltäglichen Behandlung von Töchtern und von Söhnen durch die Mütter.
    In ihrem Versuch, die geschlechtsspezifischen Erziehungsvorgänge in der Familie zu erkennen, heben die Newsons vor allem den Faktor der
Beaufsichtigung
hervor. Die unterschiedliche Behandlung von Mädchen und Jungen wird bewußt durch die mehr oder weniger starke Sorge um Gefahren des sexuellen Mißbrauchs motiviert bzw. gerechtfertigt. Mädchen werden allgemein dazu angehalten, in der Nähe der Wohnung zu bleiben, sich nur dort frei zu bewegen, wo verantwortliche Erwachsenen einen

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