Sozialisation: Weiblich - männlich?
Überblick über das Geschehen haben. Viel häufiger als Jungen dürfen elfjährige Mädchen nur dann aus der Wohnung gehen, wenn sie genau Bescheid sagen, wohin sie gehen. Wesentlich mehr siebenjährige Jungen als Mädchen spielen häufig und mit Vorliebe draußen, dürfen in der Nachbarschaft umherschweifen und sind oft nicht zu finden, wenn man sie haben will
(Newson
u.a. 1978, S. 33-34). in
vielen
Familien bedeutet aber das Spiel zu Hause eben auch ein Spiel in gemeinschaftlich genutzten Räumen, nicht im eigenen, abgeschlossenen Kinderzimmer – vor allem in den unteren sozialen Schichten
(Newson/Newson
1976, S. 133ff.). Kinder, die mehr zuhause sind und eher drinnen als draußen spielen, geraten ganz unbeabsichtigt stärker unter Druck der normativen Erwartungen der Erwachsenen. Die Mütter mögen gleiche Erziehungsziele, gleiche Grundsätze und Maßstäbe für die Söhne und die Töchter hegen. Aber das Kind, das sie den ganzen Tag um sich haben, wird in ungleich größerem Ausmaß diesen Normen ausgesetzt als das Kind, das schon mit sieben Jahren eigentlich nur zum Essen und zum Schlafen nach Hause kommt. Indirekt werden Söhne so dazu ermutigt, sich den Vorschriften und Erwartungen der Mütter zu entziehen. Je mehr sie entdecken, daß diese Möglichkeit für sie besteht, desto eher machen sie vermutlich davon Gebrauch.
Der Faktor „Beaufsichtigung“ dürfte weitreichende Folgen haben. Er ist nicht ohne weiteres einem Bestreben gleichzusetzen, ein bestimmtes Mädchenbild durchzusetzen, denn die empirischen Untersuchungen, die Maccoby/ Jacklin gesichtet haben, stellen, ebenso wie die Newsons, bis zum Alter von 5 Jahren keine unterschiedliche Behandlung von Mädchen und Jungen fest
(Maccoby/Jacklin
1974, S. 316-19). Einschränkungen der Eigenständigkeit werden nicht geschlechtsspezifisch unterschiedlich gehandhabt. Erst wenn die Kinder in der Schule sind, längere Wege eventuell allein gehen, und wenn auch der sexuelle Mißbrauch durch Fremde vorstellbar geworden ist, weil die Tochter als Schülerin, nicht als Kleinkind empfunden wird, setzt diese Unterscheidung ein. Sie ist wohl am ehesten zu deuten als ein Versuch, den für Kinder generell erwünschten Schutz unter den für Mädchen objektiv ungünstigeren Bedingungen zu gewährleisten.
Dagegen ist zwar einzuwenden, daß die sexuelle Bedrohung für Mädchen objektiv im familiären Raum am größten ist: Mädchen werden faktisch am häufigsten durch Väter, Onkel, Freunde der Familie mißbraucht, mehr als durch Fremde
(Rush
1982). Dies bedeutet aber nicht, daß Mädchen auf der Straße sicher wären, sondern eher, daß sie nirgendwo sicher sind. Aus der Sicht der Eltern erscheint Beaufsichtigung als wirksamer Schutz, weil niemand sich konkret vorstellen will, daß Inzest und Mißbrauch in dem eigenen Bekanntenkreis droht. Neben der Einschränkung von Erfahrungschancen und der ständigen Präsenz der Kontrolle von Erwachsenen teilt Beaufsichtigung den Mädchen stumm mit, daß die „Welt draußen“ von diffuser Gefährlichkeit ist. Dieser Aspekt von Erziehung muß nicht einmal als Einschränkung oder Verbot in Erscheinung treten;. nur bleibt eine altersgemäße Weiterentwicklung des Zutrauens zu sich aus. Welche Rolle die Eltern spielen, ist nicht ganz klar: die allmählich gewagteren Streifzüge der Jungen in der Umgebung entwickeln sich durch eine schwer faßbare Mischung von Gelegenheit, Anfeuern durch Gleichaltrige, und Beeinflussung durch ältere Jungen.
Der weiterreichende Aktionsradius der Jungen ist eng verzahnt mit einer stärkeren Tendenz, mit Gleichaltrigen (oder auch: in gleichgeschlechtlichen Gruppen gemischten Alters!) zu spielen, und mit einer stärkeren Beeinflussung durch andere Kinder relativ zu dem Einfluß der Erwachsenen.
Tieger
(1980) wirft die Frage auf, inwiefern die Beobachtungen häufigeren aggressiven Verhaltens eine Folge davon sind, daß Jungen insgesamt häufiger in Interaktionen aller Art mit Gleichaltrigen beobachtet werden.
Lott
(1981) berichtet aus ihren Beobachtungen in zwei Kindergärten in Neuseeland, daß ausgeprägte Unterschiede im Verhalten von Mädchen und Jungen vor allem entlang der Dimension der Interaktion mit Gleichaltrigen zu beobachten waren: Jungen haben deutlich häufiger mit anderen Kindern gespielt, auch kooperatives Verhalten war ausgeprägter; und sie spielten mehr draußen und nutzten ein breiteres Spektrum der Spielbereiche; Mädchen hielten sich häufiger in der Nähe von Erwachsenen auf, spielten
Weitere Kostenlose Bücher