Sozialisation: Weiblich - männlich?
häufiger allein oder schauten nur zu, und spielten mehr drinnen.
Es ist wichtig hier zu betonen, daß die Beaufsichtigung nicht zur Folge hat, daß Mädchen „angepaßter“ sind. Weder sind sie besonders rücksichtsvoll, einfühlsam und hilfsbereit, noch streiten sie sich weniger, noch gehen sie aktive Spiele oder Hindernisse weniger energisch an
(Lott
1981, S. 35-52,
Maccoby/ Jacklin
1974, S. 349ff.). Es ist aber anzunehmen, daß die kontinuierliche Aufsicht die Bildung stabiler Gruppenzusammenhänge unter den Mädchen verhindert, da in den jeweiligen Wohnungen selten mehr als ein oder zwei Kinder zu Besuch kommen können, der Weg nach außerhalb jedoch eher im Kontext zielbezogener Gruppen (Turnverein, etc.) steht. Selbst am Spielplatz und in der Kindertagesstätte übernimmt die Gruppe für die Mädchen im Grundschulalter nie die Funktion, eine Alternative zur Kontrolle der Erwachsenen zu bieten. Obwohl Unterschiede in der Gruppenbildung von Mädchen und Jungen oft empirisch beobachtet worden sind, wurde selten dieser gravierende Unterschied in den realen Möglichkeiten der jeweiligen Geschlechtsgruppe bemerkt. Individuelle Unterschiede im Erziehungsstil der Eltern oder in der Persönlichkeit der Mädchen können nicht zum Tragen kommen, wenn es draußen in der Nachbarschaft keine frei sich herumtreibende Gruppe gibt, der sich das einzelne Mädchen anschließen kann. 5 Die beaufsichtigte und zielorientierte Gruppe kann nicht die gleiche emotionale Bedeutung erlangen und keine vergleichbare Ablösung vom beschützten Kleinkindstatus bieten. Die Bedeutung des Fehlens eigenständiger Gruppen wird im 3. Kapitel (5. Abschnitt) geschildert.
Da wir schon wissen, daß die Durchschnittswerte für aggressives Verhalten im allgemeinen für Jungen höher sind als für Mädchen, wäre es wichtig einzuschätzen, inwiefern unterschiedliches Erziehungsverhalten damit im Zusammenhang steht. Nicht allzuviel der vorliegenden Forschung ist differenziert genug angelegt, um hier weiterzuhelfen.
Newson/Newson
(1976, S. 388ff.) verbinden die Antworten auf mehrere Fragen zu einem Index für Aggressivität der (siebenjährigen) Kinder und zeigen auf, daß es sowohl nach Geschlecht wie nach sozialer Schicht deutliche Unterschiede gibt. Der Anteil der Jungen aus Mittel- und Oberschichtfamilien, die als „sehr aggressiv“ oder „wenig aggressiv“ eingestuft werden, stimmt in etwa mit dem Anteil der Mädchen aus Arbeiterfamilien mit diesen Indexwerten überein. Nicht alle Einzelwerte sind im Text aufgeführt, doch vermerken Newson/Newson, daß die Angaben der Eltern über Wutausbrüche von Töchtern und Söhnen
nicht
unterschiedlich sind. Deutlich sind hingegen Unterschiede in der Destruktivität (Zerstörung von Gegenständen); die Antworten über Prügeleien mit anderen Kindern fehlen, haben vermutlich auch zu dem Unterschied im gesamten Index beigetragen. Diese Angaben weisen in die Richtung, daß die aggressiven Impulse ähnlich, jedoch bestimmte Formen, sie auszuleben, unterschiedlich sind. Die Interaktion von Schicht und Geschlecht macht deutlich, daß es sich um gelerntes Verhalten handelt. Die Newsons prüften mögliche Beziehungen und fanden, unabhängig von der sozialen Schicht, daß diejenigen Kinder hohe Aggressivität aufweisen, deren Mütter überhaupt das Prinzip der Strafe für erzieherisch wirksam halten und insbesondere Schläge als Mittel häufiger einsetzen.
Die Entstehung dieser Verhaltensweisen in der Erziehung ist wenig erforscht. Eine Untersuchung von Minton et al. analysierte die Reaktionsketten, in denen verschiedene Formen der Disziplinierung von Zweijährigen durch ihre Mütter zustandekommen. Sie beschrieben eine „Eskalierung“: zunächst wird eine Aufforderung, ein Verbot o.ä. ausgesprochen. Wenn das Kind sich dem fügt, endet die Kette. Wenn nicht, greift die Mutter zu stärkeren Mitteln: sie wird laut oder heftig, entfernt den Gegenstand oder das Kind, oder (dies war relativ selten) schlägt das Kind. In dieser Studie wie in anderen mit Kindern der Altersstufe 2 bis 5 waren Mädchen deutlich häufiger bereit, sich der ersten Anweisung zu fügen. Minton et al. beobachteten zudem noch, daß die Vorgeschichte der Eltern-Kind-Interaktionen auf den Verlauf im Einzelfall einen Einfluß hat: Wenn das Kind beim vorigen Anlaß sich nicht bereitwillig gefügt hatte, sondern erst durch schärfere Mittel dazu gebracht wurde, war beim nächsten Anlaß die Mutter eher geneigt, gleich zur zweiten Stufe der
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