Sozialisation: Weiblich - männlich?
Durchsetzung überzugehen
(Maccoby/Jacklin
1974, S. 332-34). Auch
Newson/Newson
(1976) finden, daß Widerstand vom Kind in vielfältigen Formen das Schlagen auslöst. Es wäre vorstellbar, daß eine Geschichte der Eskalierung von Konflikten dazu beiträgt, daß Schläge häufiger werden. Damit soll nicht gesagt werden, daß das Kind selbst schuld daran sei, wenn es geschlagen wird, sondern daß die Dynamik der Mutter-Sohn-Beziehung eine latente Bereitschaft, notfalls durch Schläge den Gehorsam des Kindes zu erreichen, häufiger und stärker hervorruft. Die Newsons fanden keine Unterschiede nach sozialer Schicht oder nach Geschlecht des Kindes in den grundsätzlichen Einstellungen der Mütter zum Schlagen
(Newson/Newson
1976, S. 309); es kann also durchaus sein, daß die Maßstäbe für Disziplinierung im Prinzip gleich sind. Dennoch zeigen ihre eigenen Ergebnisse sowie die von Maccoby und Jacklin gesichteten Untersuchungen über körperliche Züchtigung, daß Jungen eindeutig mehr geschlagen werden als Mädchen.
Aus den unterschiedlichen Mittelwerten für aggressives Verhalten bei Jungen und Mädchen folgt noch nicht, daß alle Jungen einen relativ höheren Aggressionspegel als Mädchen hätten. Im Gegenteil: selbst Maccoby und Jacklin, die zur biologischen Erklärung neigen, vermuten eher, daß eine Minderheit von männlichen Kindern extrem aggressives Verhalten aufweist und dadurch den Durchschnitt nach oben versetzt
(Maccoby/Jacklin
1980, S. 967). Neben der Tatsache, daß doppelt so viele Jungen wie Mädchen mindestens einmal täglich geschlagen werden
(Newson/Newson
1976, S. 308), wäre hier die Auswirkung von miterlebter Mißhandlung der Mütter zu berücksichtigen. Aus der systematischen Beobachtung des Zusammenlebens im Frauenhaus wissen wir, daß das Erlebte – männliche Gewalt gegen die Mutter, die lange Zeit fortgesetzt wurde ohne daß irgend jemand dagegen einschreitet – geschlechtsspezifische Auswirkungen auf Mädchen und Jungen hat
(Hagemann-White, Kavemann
u.a. 1981). Ein Teil der Söhne übernimmt die gewalttätige Durchsetzungsart und wendet sie gegen andere Kinder an, verarbeitet die zunächst traumatisch beängstigenden Erfahrungen durch allgemeine Aggressivität. Ein Teil der Mädchen wird nachhaltig eingeschüchtert. Kinder mit dieser Art familiärer Erfahrungen gibt es in jeder Schulklasse und in jedem Kindergarten; sie sind sicherlich unter den Stichproben vorhanden, die in solchen Einrichtungen beobachtet werden. Möglicherweise stammt ein nicht unerheblicher Teil der gehäuften aggressiven Handlungen männlicher Kinder von Jungen mit einem solchen Hintergrund. Die Überprüfung ist schwierig, denn aus der Frauenhausforschung wissen wir außerdem, daß mißhandelnde Männer ihr Familienleben massiv abschirmen und die Frau weitestgehend isolieren. Es scheint sehr unwahrscheinlich, daß Mütter aus solchen Situationen überhaupt die Freiheit hätten, sich an Untersuchungen der Mutter-Kind-Interaktion zu beteiligen; bei den repräsentativen Erhebungen werden sie überproportional unter den „Verweigerern“ sein.
Grundsätzlich werden die Forschungsfragestellungen davon abhängen, wie der Tatbestand relativ häufigerer männlicher Aggressivität
bewertet
wird. Bewertet man hohe Aggressivität als ein Stück rohe Natur, deren Bändigung eine nicht immer ganz gelingende Zivilisationsleistung wäre, betrachtet man sie sogar als die eigentliche Quelle alles schaffenden Herangehens an die Welt
(Rudolph
1980, S. 187-88), so wird man dazu neigen, das Mehr an (feindseliger) Aggressivität bei männlichen Kindern ebenfalls als Naturtatsache und damit als Gelegenheit hinzunehmen. Bewertet man hingegen hohe Aggressivität – und damit ist hier gemeint, die Bereitschaft, anzugreifen und zu verletzen – als eine Störung, als Zeichen mißlungener Grundsozialisation, so wird man nach den Bedingungen forschen wollen, die solches Verhalten möglich machen. Man wird danach fragen, ob diese Bedingungen häufiger für männliche Kinder, oder für bestimmte männliche Kinder eintreten. Nicht wenige Autoren zeigen eine gewisse Ehrfurcht vor männlicher Aggressivität, was sich u. a. in der mangelnden Differenzierung der Verhaltensweisen zeigt, die sie darunter subsummieren.
In einer Untersuchung von
Seegmiller/Dunivant
(1981) mit 3-, 4- und 5jährigen Kindern wird aggressives Verhalten wie folgt definiert: das Kind grabscht, nimmt weg, schlägt; gehorcht nicht; boxt, tritt; ärgert, schimpft, kritisiert;
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