Sozialisation: Weiblich - männlich?
holt einflußreiche Erwachsene zur Einmischung herbei; behauptet sich, führt andere an; brüllt an; gibt Anleitung; spielt Mann im Rollenspiel (!). Zum „abhängigen Verhalten“ gehört, neben
jeder
Suche nach Nähe oder Kontakt: Hilfesuche, Gehorsam 0. a. und auch die Obernalinie der Rolle „Frau“ oder „Kind“ im Rollenspiel. Da kann es nun kaum verwundern, daß Jungen in dieser Untersuchung weit häufiger „aggressives Verhalten“ aufweisen als Mädchen. im Klartext: Wenn beim „Vater-Mutter-Kind“-Spiel ein Junge den Vater und ein Mädchen die Mutter spielen, haben sie nach Ansicht dieser Forschung allein schon damit sich jeweils aggressiv und abhängig verhalten! Solche Forschung sagt mitunter mehr über die Rollenstereotypen der Forscher als über die der Kinder aus.
Die im ersten Kapitel hier zusammengefaßten Forschungsergebnisse haben uns zu der Erkenntnis geführt, daß ein dein Rollenstereotyp entsprechendes Verhalten nicht so regelmäßig oder durchgängig vorkommt, daß es in der empirischen Beobachtung in der Form verläßlicher Merkmale von weiblichen und männlichen Individuen erscheint. Geschlechtstypisches Verhalten wäre demnach situationsspezifisch steuerbar, nicht zwanghaft verwurzelt. Es wäre daher sinnvoll, die extremen Ausprägungen zu erforschen, die nicht mehr realitätsgesteuert sind, sondern generell „durchschlagen“. Unter welchen Bedingungen werden Menschen besonders passiv oder aggressiv, ängstlich oder dominant; wann wird die Sprachentwicklung oder das räumliche Vorstellungsvermögen gehemmt oder behindert? Die Aufdeckung solcher Zusammenhänge könnte klären helfen, ob die Bedingungen für solche Extreme häufig bei einem Geschlecht vorkommen, und ob eventuell die Mittelwertdifferenzen daraus abzuleiten sind.
Für den Bereich des aggressiven Verhaltens haben Blurton-Jones u. a. eine entsprechende Forschung begonnen. Sie unterscheiden sehr genau zwischen Verhalten mit Verletzungsabsicht (Schlagen, Beißen, Wegzerren eines Spielzeugs) und spielerischem Raufen. Im Rahmen einer Langzeitstudie werden 1- bis 3-jährige Kinder jeweils im Spiel mit einem Gleichaltrigen gleichen Geschlechts aus demselben Kindergarten beobachtet, wobei die Mütter (zu viert am Kaffeetisch) anwesend sind. Motiviert war die Studie durch den allgemeinen Eindruck, daß diejenigen Kinder, die besonders häufig andere Kinder angreifen, eine besondere, typische Art des körperlichen Kontakts mit der Mutter zu haben scheinen. Diese und eine Reihe anderer Annahmen wurden bei den ersten Auswertungen überprüft. Bislang hat sich nur die Annahme bestätigt, daß diese Kinder seltener als andere auf den Arm genommen bzw. durch Körperkontakt getröstet wurden, wenn sie weinten oder Nähe suchten
(Blurton-Jones
u.a. 1979). Auch hier ist schwer festzustellen, ob diese Mütter dem Körperkontakt zum Kind abgeneigt waren, oder ob sie davon Abstand genommen hatten, nachdem es ihnen immer wieder nicht gelungen war, das Kind dadurch zu beruhigen.
Zu den wenigen Untersuchungen, die eine unterschiedliche Behandlung von Mädchen und Jungen durch Mütter zu belegen beanspruchen, zählen die von
Lewis/Weinraub
(1974, 1979), die gerade in dem Umgang mit Körperkontakt Unterschiede sehen. Das Hauptziel ihrer Forschung ist allerdings der Nachweis eines allgemeinen Entwicklungsgesetzes. Sie meinen, eine Stufenleiter in der psychischen Entwicklung zu erkennen, die von dem unmittelbaren Körperkontakt zwischen Pflegeperson und Säugling, über körperliche Nähe, bis hin zum bloßen Blickkontakt geht; noch später kann die bloße Vorstellungskraft, an jemanden zu denken, ausreichen, um sich der Beziehung zu vergewissern. Lewis und Weinraub beobachteten nun, daß Jungen am Lebensanfang durchschnittlich etwas mehr Körperkontakt bei der Pflege erhielten; ab dem Alter von sechs Monaten wurde dies hingegen weniger im Vergleich zu den Mädchen. Die Grundannahme dieser Erhebung, die durch die Daten auch belegt wird, besagt, daß das eine auf dem anderen aufbaut. Daß heißt: Wenn das Bedürfnis nach Körperkontakt im ersten Lebensjahr „ausreichend“ gelebt werden darf und befriedigt wird, wird das Kind mit zwei Jahren weniger Nähe benötigen und mehr Blickkontakt suchen, wird sich also von dem Bedürfnis nach Körperkontakt besser lösen können. Es gibt jedoch kein absolutes Maß für die Menge des Körperkontakts, die ein Kind benötigt; der Vergleich ist vor allem innerhalb der Entwicklung eines Kindes sinnvoll.
Auch
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