Sozialisation: Weiblich - männlich?
heute nicht mehr „einfach“ Schaffner, Post oder Krankenhaus (obwohl sie dies auch tun), sondern wünschen sich ein Schaffnerspiel, eine Kinderpost, einen Arztkoffer. Andererseits wird Spielzeug umfunktioniert: das Mixgerät als Pistole, die Barbie-Puppe als Wurfgeschoß genutzt. Es ist wahrscheinlich, daß die Werbung, die ja stark geschlechtsspezifisch ausgerichtet ist, den Wunsch nach bestimmten, besonders teuren Spielsachen beeinflußt; mit dem aufwendigen Geschenk wird aber nicht immer entsprechend ausgiebig gespielt.
Nach einer amerikanischen Untersuchung hatten Jungen und Mädchen zwar gleich viele Weihnachtsgeschenke erhalten; doch die Geschenke der Jungen waren zu 73 % Spielsachen gewesen, die der Mädchen nur zu 57 % (sie erhielten auch Schmuck, Kleidung, Möbel). Kaufhausbeobachtungen ergaben, daß Spielwaren von wissenschaftlichem oder technischem Erkenntniswert ausschließlich für Jungen gekauft wurden
(Stacey
u.a. 1974, S. 123-25). Dies dürfte tendenziell für. Deutschland auch zutreffen, wenngleich die Polarisierung des Spielwarenverkaufs nach Geschlecht nach meinem Eindruck weniger ausgeprägt ist als in den USA.
Rheingold
u.a. (1975) fanden, daß Jungen mehr Spielzeug hatten, das auf Aktivitäten außerhalb des Hauses verweist; lediglich bei Puppensachen und Haushaltsspielen hatten die Mädchen mehr. Es ist jedoch fraglich, welche Bedeutung diese Zuordnung für das Kinderspiel im jeweiligen Alter hat. Eine Differenzierung nach dem Spielwert (z. B. bewegliche Teile) gibt es nur in Ansätzen. Am ehesten bietet die Analyse von
Lott
(1981, S. 39-40) eine Perspektive. Sie weist darauf hin, daß der Spielwert vieler „Mädchenspielsachen“ von der Anerkennung oder Bestätigung eines anderen Menschen abhängt, weil sie zum Ziel haben, Dinge hübsch, nett oder schön zu machen. Zwar kann das Mädchen sich durchaus auf das eigene Urteil verlassen, ob nun der gedeckte Puppentisch, die Puppenfrisur, das gemalte Bild „schön“ oder „richtig“ ist; es liegt aber sehr nahe, das Erfolgserlebnis durch Einholung der Meinung eines Zuschauers zu gewinnen. Hingegen beziehen Spiele, die bewegt oder zusammengesetzt werden, ihren Spielwert aus der gelungenen Hantierung selbst. Das ist häufig der Fall bei typischen Jungenspielen. Nur die Spielbeteiligten selber können dem ereignisreichen Straßenverkehr der Spielautos etwas abgewinnen, Kommentare von außen sind überflüssig. Wenn Erwachsene herbeigerufen werden, um ein Bauwerk zu bewundern, so hat das Kind den Erfolg des Bauens schon festgestellt, es möchte nun die Bewunderung seines Könnens noch dazu hören. Der Stellenwert der Bewertung durch andere ist anders als bei ästhestischen Produkten. Nach Lott trägt die Unterstützung des typischen Mädchenspiels dazu bei, Mädchen zur Abhängigkeit zu erziehen.
Die Bereitschaft von Familienangehörigen, Spielwaren zu kaufen, wird vermutlich sowohl durch Vorurteile über Kinder des betreffenden Geschlechts – verstärkt durch Werbung – wie auch durch geäußerte Wünsche des Kindes (beeinflußt durch Werbung!) gelenkt. Gerade bei der Spielzeugausstattung ist die weitere Verwandtschaft spürbar beteiligt, was vermutlich eher konservativen Tendenzen zuarbeitet. Auch die ständige Steigerung der erforderlichen Anfangsinvestition wirkt gegen die Anschaffung untypischer Spiele. So wurden z. B. Mitte 1982 der Grundkasten und der Ergänzungskasten von Fischer-Technik – beide 50 Teile – aus dem Handel gezogen und durch einen Anfangskasten von 100 Teilen (identisch mit den beiden früheren Kasteninhalten) ersetzt. Wenn Eltern ohnehin unsicher sind, ob ihre Tochter nachhaltiges Interesse am technischen Bauen haben wird, so hat sich die Hemmschwelle gegen eine Erstanschaffung schlagartig mehr als verdoppelt (da mit der Veränderung auch
eine
Preissteigerung verbunden war). Leicht schieben sich zusätzliche Werthaltungen vor, wie z. B. die berechtigte Ablehnung des „Konsumterrors“ zu Weihnachten. Ein Spiel, das für die Tochter nicht gekauft wird, „weil es unerhört teuer ist“, wird vielleicht später für den kleinen Bruder gekauft, „weil er sich das
so
sehr wünscht“. Möglicherweise hätte das Mädchen den Besitz, die Verfügbarkeit des Spieles viel nötiger gehabt, um sich allmählich mit dessen Möglichkeiten vertraut zu machen. Alles in allem hat es jedoch den Anschein, daß reichliches und auch teueres Spielzeug für die Kinder heute auf ähnliche Weise zu den „Mindestansprüchen“ gehört
Weitere Kostenlose Bücher