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Sozialisation: Weiblich - männlich?

Titel: Sozialisation: Weiblich - männlich? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Hagemann-White
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als „für Mädchen“ und „für Jungen“ bestätigt wird, und daß zum weitaus größeren Teil die Themen genommen werden, die die Jungen spannend finden, um sie in den Unterricht einbinden zu können. Damit werden aber die Stereotypen noch einmal verstärkt.
    Über die größere Aufmerksamkeit, die Jungen in der Grundschule erfahren, werden widersprüchliche Urteile gefällt. Die einen meinen, wie Serbin oder Frasch/Wagner, daß Jungen und Mädchen die gesellschaftliche Höherwertigkeit männlichen Tuns lernen, und daß dies den Jungen zum Vorteil gereicht. Die anderen betonen, daß Jungen offensichtlich in den ersten Jahren weit größere-Schulschwierigkeiten haben und eine erheblich größere Chance für sie besteht, in die Sonderschule überwiesen zu werden
(Andresen
1982,
Fagot
1981,
Frauenbericht
1981, S. 17). Unter Hinweis auf diese Schwierigkeiten ist z. T. Sorge um die „Feminisierung“ der Grundschule geäußert worden, und in Berlin ist zumindest für den Vorschulbereich ein bewußtes Bemühen um mehr männliche Erzieher die Folge
(Frauenbericht
1981, S. 12).
    Eine zufriedenstellende Einschätzung wird wohl nur aus einer Analyse der gleichzeitigen Einwirkung von sozialer Schichtung nach Klasse und Geschlecht möglich sein
(Sharpe
1976, S. 146;
Hunt
1980, S. 150). Wenn eine Hauptfunktion der Schule als institution die Reproduktion sozialer Ungleichheit ist, so ist dies komplexer als es schulsoziologische Theorie (z. B.
Fend
1974) gesehen hat, weil zwei quer zueinander liegende Sozialstrukturen an die nächste Generation weitergegeben werden, und dies unter dein Anschein der gerechten Gleichbehandlung. Mit einem Schema, das Sozialisation von oben nach unten zu beschreiben versucht, bzw. die Entwicklung des Verhaltens der Schüler/innen lerntheoretisch aus den Verstärkungen durch Lehrer/innen ableitet, kann diese Analyse nicht gelingen. Wesentlich ist das Verhältnis der beiden Geschlechter zur Schule, was sie dort annehmen und was sie ablehnen.
    Die Thematik des Widerstandes gegen die Schule als Merkmal einer männlichen Subkultur wurde von
Willis
(1977) ethnographisch und theoretisch verfolgt. Die Ergebnisse bestätigen meine These, daß die Definition der Autorität der Schule als weiblich ein wesentlicher Faktor in der Sozialisation von Männlichkeit ist. Willis beschreibt dies für männliche Arbeiterjugendliche, bei denen die krassen Formen von stereotyper Männlichkeit – Frauenverachtung, demonstrative Mutproben, Prügelbereitschaft, rigide geschlechtsspezifische Arbeitsteilung – von der Gruppe der Gleichaltrigen verlangt und als Widerstand gegen die als „weiblich“ definierten Anforderungen der Schule erlebt werden. Arbeiterjugendliche „wählen“ so, vermittelt durch massive Verweigerung und systematische Diziplinstörungen in der Schule, den Weg in die ungelernte Arbeit, indem sie körperliche Arbeit als Beweis ihrer Männlichkeit, gute Schulleistungen und die dadurch zu erlangenden Lehrberufe als „weibisch“ definieren. Obwohl die Lehrer und Schulleiter redlich darum bemüht sind, dagegen zu wirken, erfüllt die Schule zugleich als Ort des „Spaßes am Widerstand“ mit dem Anschein der Gerechtigkeit die Funktion, aus Arbeitersöhnen eine neue Generation von ungelernten Arbeitern zu machen.
    Bezogen auf die Aneignung der Kulturtechniken, die ja die explizite Zielsetzung der Grundschule sind, hat es in jeder Hinsicht den Anschein, als seien Mädchen eindeutig bevorzugt (Brehmer 1982, S. 8). Andresen formuliert als gesicherte Tatsache, „daß Mädchen im Durchschnitt größere (und frühere) Erfolge im Lesen- und Schreibenlernen aufweisen als Jungen“
(Andresen
1982, S. 161). Sie entwickelt die These, daß Mädchen aufgrund ihrer Erziehung leichter auf die Situation des Schreibunterrichts sich einlassen können und außerdem wichtige Funktionen, insbesondere Ausbildung der Feinmotorik, in mädchentypischen Beschäftigungen schon vorher erworben haben. Diese besseren Leistungen betreffen aber, so Andresen, vor allem langweilige und undurchschaubare Übungen in Rechtschreibung. Die Mädchen gelangen zu Erfolgen auf dem Wege der Ängstlichkeit, Anpassung und Abhängigkeit, und sie entgehen dadurch auch eher der Sonderschule.
    Der Erfahrungsschatz der Schulpraxis begründet so eine besondere Bemühung um die Einbindung der Jungen in diese Art von Unterricht. Und diese Bemühung scheint auf eine Polarisierung der Jungen angelegt zu sein
(Hunt
1980). Durch ständige Grenzsetzungen

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