Sozialisation: Weiblich - männlich?
für das Maß akzeptablen Widerstandes, aber auch ausgiebiges Lob für gute Leistungen, notfalls durch Einbeziehung der Autorität und der Nachhilfe der Eltern, wird der Mittelschichtsohn dahin gebracht, die eher dem weiblichen Stereotyp entsprechende Anpassung zu leisten, um in dieser Institution lernen zu können. Der Arbeitersohn bringt weniger Voraussetzungen mit, wird seltener gelobt und gleichzeitig in seiner Aneignung der Subkultur aggressiver Männlichkeit indirekt, durch öffentliche Beachtung, bestätigt. Zudem sind die Requisiten der Männerrolle, die von der Subkultur der Gleichaltrigen vom ersten Schuljahr an hochgewertet werden, dem Arbeitersohn oft vertrauter, auch in der Körpersprache „sitzt“ die Rolle besser; sie bietet daher eine Chance, Macht und Status innerhalb der Schulklasse zu erlangen.
Diese Subkultur der Jungen richtet sich gegen die Mädchen. Vom Vorschulalter bis zur Pubertät bestätigen alle Forschungen die Praxisbeobachtung, daß Mädchen und Jungen jeweils bevorzugt mit den eigenen Geschlechtsgenossen spielen. Einige Daten weisen dahin, daß diese Trennung weit stärker von den Jungen ausgeht
(Unger
1979, 206). So lange die Schule den Mädchen Anerkennung und Bestätigung bietet, neigen sie dazu, dies zu akzeptieren. Gegen die Geringschätzung und das Ärgern, oft auch Prügeln, ist ihr Selbstbewußtsein dadurch geschützt, daß das Jungenverhalten auch ein solches ist, das die Erwachsenen mißbilligen und sanktionieren. Im Akzeptieren üben sie aber Verhaltensmuster ein, die in den höheren Klassen der Schule nicht mehr belohnt werden. Anders gesagt: Die Schule versäumt es, den Mädchen diejenigen Fähigkeiten beizubringen, die sie typischerweise außerhalb des Unterrichts wenig Gelegenheit haben, anzuwenden oder zu erwerben.
Die besondere Aufmerksamkeit, die im Unterrichtsgeschehen wie in den Schulbüchern den Jungen gewidmet ist, hat die Aufgabe, ihnen Fähigkeiten nahezubringen, die sie nicht durch altersgemäße Nachahmung der gesellschaftlich sichtbaren Männerrolle lernen können. Damit erwerben sie aber Fähigkeiten, die sie später für die tatsächlichen Wege zu Vorteilen und Privilegien benötigen werden, deren Stellenwert sie als Kinder jedoch noch nicht durchschauen. Mädchen werden dabei belassen, diejenigen Fähigkeiten zu erwerben, deren Stellenwert für die Frauenrolle ihnen schon als Kinder einsichtig sein kann. Fähigkeiten, die sie genauso benötigen werden, aber deren Stellenwert sie als Kinder noch nicht durchschauen können – Unabhängigkeit, Wettbe werbsfähigkeit, Originalität, räumliches und mathematisch-naturwissenschaftliches Denken, Vertrautheit mit Technologie, und die Fähigkeit, sich durchzusetzen und sich zu wehren – werden nicht unbedingt im Unterricht gefördert. Die Schule wirkt, wie Sherman andeutete, in der Tat als kompensatorische Einrichtung für männliche Kinder. In einer Gesellschaft, deren Erwachsenenrollen so vermittelt und komplex geworden sind, daß Kinder durch die bloße Aneignung dessen, was sie durchschauen können, dem nicht gewachsen wären, ist „kompensatorische“ Erziehung in diesem Sinne auch notwendig. Sie wird für Mädchen unterlassen.
Das allmählich sinkende Zutrauen der Mädchen zu sich und ihren schulischen Fähigkeiten ist damit noch nicht aufgeklärt. Auffallend ist z. B. (so auch von
Sherman
1978 vermerkt), daß trotz gleich guten Mathematikleistungen bis in die 10. Klasse Mädchen freiwillig weniger Kurse wählen, in denen sie diese Fähigkeiten gebrauchen. Auch das „Aussieben“ von Mädchen im Bildungssystem nimmt zunehmend deutlich die Form an, daß Mädchen zwar gute Abschlüsse machen, dann aber den Bildungsgang abbrechen: Sie legen z. B. das Abitur ab, studieren dann aber nicht. Neben den vielen materiellen und familiären Hindernissen, die eine in Wirklichkeit unfreiwillige Entscheidung bewirken können, scheint nicht ohne Bedeutung zu sein, daß Mädchen relativ früh beginnen, in der Einschätzung eigener Erfolgserwartungen „tiefzustapeln“, bei Mißerfolgen schnell aufzugeben.
Carol Dweck und ihre Mitarbeiterinnen haben in einer Reihe von Untersuchungen erforscht, worauf Kinder ihre Erfolge und Mißerfolge unter verschiedenen Bedingungen zurückführen, in der Annahme, daß solche Zuschreibungen sich auf das Selbstbild auswirken und darauf, was man sich jeweils neu zutraut. Wenn ein Kind beim Mißlingen eines Versuchs sagt „ich bin wohl zu blöd für so was“, beim Gelingen aber
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