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Sozialisation: Weiblich - männlich?

Titel: Sozialisation: Weiblich - männlich? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Hagemann-White
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es Kinder gäbe, die generell auf Mißerfolge hilflos reagieren, geriet nun auf überraschende Weise ins Wanken, denn es kam sehr darauf an, von wem die Bewertung geäußert wurde. Bei Erwachsenen waren die Ergebnisse wie oben berichtet: Jungen sahen ihre Mißerfolge oft als Folge fehlender Bemühung und strengten sich neu an; bei Mädchen war es häufiger, daß sie mangelnde Befähigung annahmen und ihre Bemühungen aufgaben, hilflos reagierten. Als Gleichaltrige die Rückkoppelung leisteten, war das Muster jedoch umgekehrt! Negative Bewertungen durch Gleichaltrige ließen die Mädchen weitgehend unberührt; nach einem Mißerfolg, der ihnen von einem gleichaltrigen Kind mitgeteilt wurde, haben sie dies mangelnder Anstrengung zugeschrieben und danach deutlich bessere Leistungen gezeigt. Die Jungen schrieben nun ihre Mißerfolge mangelnder Fähigkeit zu und gaben schnell auf. Von allen Gruppen im gesamten Versuch waren es die Jungen, die von gleichaltrigen Jungen Mißerfolgsmeldungen erhalten hatten, die das „hilflose“ Verhaltenssyndrom am deutlichsten aufwiesen und den stärksten Leistungsabfall zeigten
(Dweck/Goetz
1978, S. 165).
    Die Bedeutung dieser Ergebnisse mag in einem Hinweis von
Vagot
(1981) zu suchen sein: Jungen werden für zwei Sätze von Verhaltensweisen bestätigt. Erwachsene geben ihnen Bestätigung für gute Schulleistungen und für Verhalten, das eher dem Mädchenstereotyp entspricht; und Gleichaltrige hingegen für Verhalten, das dem männlichen Stereotyp entspricht. Die schulischen Zurechtweisungen für Aggressivität, Ungehorsam, etc. vermitteln zugleich, daß dies ein zu erwartendes Verhalten ist; es gilt als normal, auch wo es unerwünscht ist. Insofern lösen diese Sanktionen keine tiefe Beunruhigung aus. Verunsicherung, die die Leistung beeinträchtigt und das Selbstbewußtsein erschüttert, geht nur von der Mißbilligung durch andere Jungen aus. Bei Mädchen ist das Einleben in der Schule leichter, weil die Verhaltenserwartungen einhelliger sind: Erwachsene und Gleichaltrige verstärken „mädchenhaftes“ Verhalten, und dies schließt in der Grundschule auch die Möglichkeit ein, sich mit guten Leistungen hervorzutun. Was den Mädchen dabei völlig fehlt, ist die Chance, sich von den Normen und Bewertungen der Erwachsenen zu distanzieren. Da das Mädchen die Gleichaltrigen nicht als Stütze für den Rückzug aus der Erwachsenenaufsicht gebrauchen konnte, ist deren Bewertung ihres Verhaltens nicht so zentral. ihr Selbstbewußtsein ist gegenüber Kritik von Gleichaltrigen relativ stabil.
    Zusammenfassend können mehrere Erziehungseinflüsse in öffentlichen Einrichtungen ausgemacht werden, die geschlechtsspezifisch wirken:
Getrenntes Ansprechen „der Mädchen“ und „der Jungen“ ist eine Selbstverständlichkeit des Unterrichtsalltags, die unter der Hand die herkömmlichen Rollenzuweisungen verstärkt. Diese Praxis verstärkt auch das Abgrenzen der Geschlechter gegeneinander unter den Gleichaltrigen und damit die Subkultur der Jungen in ihrer Abgrenzung gegen alles Weibliche.
Jungen erhalten insgesamt mehr Aufmerksamkeit als Mädchen. Sie lernen dabei den Nutzen von Widerborstigkeit, um sich – auch bei Tadel – erfolgreich in den Mittelpunkt zu setzen. Mädchen gewöhnen sich daran, weniger beachtet zu werden, ohne dies als ungerecht zu empfinden, da die Beachtung der Jungen oft mit Mißbilligung verbunden ist.
Jungen werden unter erheblichen Druck gesetzt, Verhaltensweisen zu übernehmen, die als „mädchentypisch“ gelten; zugleich erhalten sie von Gleichaltrigen Verstärkung, von Erwachsenen Toleranz für Verhalten nach dem männichen Stereotyp. Lehrer und Lehrerinnen geben sich deutlich mehr Mühe, den Jungen das Lernen nahezubringen. Obwohl Arbeitersöhne in diesem Spannungsfeld von Anforderungen oft in einer sozial nachteiligen identität befestigt werden, gelingt bei vielen Jungen die Förderung von Fähigkeiten, die den Kindern weniger einsichtig sind. Mädchen werden hingegen von Erwachsenen wie von Gleichaltrigen in dieselbe Richtung verstärkt und von niemandem dazu gedrängt, Verhaltensweisen zu erproben oder übernehmen, die „jungentypisch“ sind.
Die Art der alltäglichen Rückkoppelung scheint langfristig für das Selbstbild wichtig zu sein. Wenn Lob und Tadel regelmäßig an der Leistungsbewertung ansetzen und die Leistung auch wichtigster Anlaß zur Beachtung ist, wird die Einschätzung der eigenen Befähigung zu sehr vom Urteil anderer abhängig. Mißerfolge

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